Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 28. Februar 1866

28 Februar | 66.

Mein lieber Ernst!

Herzlichen Dank für Deinen letzten Brief, aus welchem wir ersehen haben, daß Du in Wiederstellung des Gleichgewichts Deines innern Lebens recht rüstig fortschreitest und daß Dira Dein Lebensberuf immer klarer wird. Du im Steigen, ich alter Mann im Abnehmen. Indeß muß ich doch Gott für mein verhältnißmäßig rüstiges Alter sehr dankbar sein. Die Lektüre von Mommsens römischer Geschichte hatte mich so in diese hineingetrieben, daß ich, ungeachtet sieb mit Caesar abschließt, doch gern eine Uebersicht über das 1000 jährige Leben dieses Staats und Volks gewinnen wollte und so habe ich denn dieses Studium in der Lektüre des römischen Kaiserreichs bis zur Völkerwanderung fortgesetzt und bin noch darinn begriffen, indem ich erst bis zu Diocletian vorgedrungen bin und es nun in der übrigen Welt leichter zu werden anfängt. Diese Geschichte des Kaiserreichs hat zu ihrem Verfaßer den Profeßor und Schuldirector Weber in Heidelberg und daneben habe ich noch die Geschichte über den Verfall des römischen Reichs von Gibbon gelesen, die denselben Gegenstand seit der Regierung des Octavian behandelt. An Historikern aus jener Periode fehlt es nicht, besonders wird Tacitus und Liviusc benutzt und erlangt man eine rechte Detailkenntniß jener Zustände. d In einem Zeitraum von 270 Jahren von Tiberius bis Diocletian an hatte das Unwesen der Prätorianer eine solche Höhe erreicht, daß von Comodus bis Diocletian in 100 Jahrene an 20 Regenten von ihnen gewählt und wieder abgesetzt und meist getödtet wurden. Es fehlte unter diesen Kaisern nicht an braven Männern, die die Misbräuche der Prätorianer und Legionsoldaten abzustellen suchten. Aber grade dieses Bestreben gefiel ihnen nicht und die Ermordung eines solchen Kaisers, den sie ganz als ihr Werkzeug betrachteten, wurde von ihnen mit der größten Gleichgültigkeit vollzogen. Inzwischen gieng die Entwikelung und Verbreitung des Christenthums ihren Gang fort. Die Christenverfolgungen mehrten die Anzahl der Bekenner des Christenthums. Dieses fand besonders in der untersten Klaße der Sklaven und Freigelaßnen großen Anhang. Diese besaßen nichts, was sie || an diese Welt feßelte. Sie sehnten sich nach einen beßeren Leben und da das Christenthum ihnen dieses verhieß, so wurden sie in großer Anzahl Christen. Das Heidenthum existirte hauptsächlich nur in den höhern Klaßen fort, welche sich an dief epikuräische und stoische Philosophie hielten. Es fehlte aber auch nicht an Männern, welche das Christenthum mit der griechischen Philosophie in Verbindung brachten, so entstanden die Neu-Platoniker, durch welche das Christenthum eine wißenschaftliche Form gewann. Ueberhaupt war die Neigung der Römer für griechische Bildung der Entwikelung des Christenthums sehr günstig, jene Bildung verbreitete sich durch alle Provinzen des römischen Reichs, diese wurden romanisirt und die noch rohen Germanen konnten sich, als sie in das römische Reich eindrangen, an diese Bildung anlehnen. Die christliche Geistlichkeit hatte inzwischen Einheit und Bildung gewonnen und so wurde es nicht schwer, den Germanen die Lehren des Christenthums, wenn auch nicht in ganz reiner Gestalt beizubringen. g Zu dieser Reinigung bedurfte es eines Zeitraums von 1000 Jahren, bis die Reformation erschien und Amerika entdekt wurde und nun war erst der Zeitpunkt gekommen, wo das Christenthum seine Wanderung über die ganze Erde antreten sollte. Die Ideen brauchen Zeit, ehe sie das Menschengeschlecht durchdringen und so leben wir auch jetzt in einer Zeit, wo die Ideen mit den vorhandenen Zuständen in einem großen Kampfe begriffen sind und wo es Noth thuth den Glauben an den Fortschritt nicht zu verlieren. Was indeß in neuester Zeit in Preußen geschehen ist, kann nur dazu dienen, dem Fortschritt neues Leben zu geben, und die Antastung der Redefreiheit in den Kammern wird hirzu wesentlich beitragen. Der neueste Schritt über die Schließung der Kammerseßion ist noch nicht hinreichend aufgeklärt. Man erzählt, daß unsre Regierung der österreichischen 33 Millionen für Abtretung ihrer Rechte an Holstein angeboten, und daß, als Oesterreich dieses zurükgewiesen, Preußen sich an Napoleon gewendet habe, um Preußen behülflich || zu sein. Es gieng daher schon das Gerücht, daß einige Corps bei uns mobil gemacht würden. Napoleon habe aber erklärt, daß er es mit Oesterreich nicht verderben könne und die Reise unseres Gesandten des Gr. v. Golz steht damit in Zusammenhang. Seitdem ist von Mobilisirung keine Rede mehr. In wiefern aber die Schließung der Kammer hirmit in Verbindung steht, weiß man nicht.

Die Tage werden länger, wir haben mildes Wetter, ich mache in den Mittagsstunden noch meine Spatziergänge, sonst aber bleibe ich zu Hause und liege meinen Studien ob, so lange es Gott gefallen wird.

Wir freuen uns schon recht, Dich auf Ostern bei uns zu sehn. Fahre in Deinem Fleiße und Studien nur so weiter fort, dieses ist der einfache Beruf den Dir Gott ganz entschieden vorgezeichnet hat, und denke fleißig an Deine Eltern. Grüße Deine Freunde von uns.

Dein Dich liebender Vater

Hkl

a eingef.: Dir; b eingef.: sie; c eingef.: und Livius; d gestr.: Es; e eingef.: in 100 Jahren; f irrtüml. doppelt: an die; g gestr.: die den; h eingef.: thut;

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
28.02.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36020
ID
36020