Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 10. November 1865

10 Novmb. 65.

Abends.

Mein lieber Ernst!

Zum Mittag ist Mimi mit den Kindern wieder abgereist, nachdem sie 3 Wochen hier gewesen mit den Kindern. Da ist es nun gewaltig leer, einsam und öde und ich werde mich mit Mutter erst wieder in diese Einsamkeit finden müßen. Denn nicht allein die Kinder machten viel Leben, sondern auch Mimi erhielt viel Besuch und wir wurden oft ausgebeten. So sind wir öfters bei Bertha gewesen und haben dort Gesellschaft gefunden, auch zu andern wurden wir ausgebeten, unter andern zu Quinke, wo wir einen Mittag ganz einfach unter uns zubrachten. Mimi war viel aus, sie hatte seit mehreren Jahren vielea ihrer Bekannten und Freunde nicht gesehen und so wurde sie häufig ausgebeten, auch das Theater wurde nicht vergeßen. Ich gehe Abends ein für alle Mahl nicht mehr aus, denn ist man in Gesellschaft, so ist man nicht mehr sein eigener Herr, es wird mehr gegeßen und getrunken, man kommt spät zu Bett, und kann nicht recht schlafenb, das geht für so alte Leute, wie ich bin, nicht und ich will wenigstens durch ein ganz reguläres Leben meinerseits dazu beitragen, daß ich mich möglichst gesund und frisch erhalte. Dazu kommt, daß ich meinen Studien sehr ergeben bin und dass diese mich mehr intereßiren als die Gesellschaften. So wie Du nun jetzt in Deinen Arbeiten sehr vergraben sein wirst, so bin ich auch meinerseits sehr viel mit meinen Büchern beschäftigt. Ich bin in den Polybius (deutsch übersetzt) hineingerathen und lebe ganz in dem Kampfe zwischen Rom und Karthago und in den Kriegen, welche Hannibal geführt hat. Schon sein Uebergang über die Alpen ist höchst intereßant, bis dahin bin ich erst gekommen und Ritters Erdkunde über Europa (die neuesten von ihm herausgekommenen Vorlesungen) hatte mich dahin geführt, so daß ich auf die Beschreibung des Polybius über den Alpenübergang Hannibals, bei welchem ich eben angekommen bin, sehr begierig war. Ich werde nun erst das Weitere hierüber erfahren, vorläufig weis ich nur so viel, daß Hannibal 15 Tage, 9 Tage zum Aufsteigen und 6 Tage zum Heruntersteigen gebraucht hat und daß ihm der Transport der Elephanten über das Eis und den Schnee sehr viel zu schaffen gemacht hat. – Da suche ich mir nun den Kampf der Römer und Karthager in die Weltge-||schichte einzureihen, während mich eigentlich die geistige Ausbildung der Griechen weit mehr intereßirt und auch für die Entwikelung der Menschheit weit wichtiger gewesen ist. Das Leben des Alterthums bildet nun einmal einen großen Abschnitt im Leben der Menschheit, eine eigne Epoche, es c hat an sich einen Werth, der menschliche Geist hat sich darin eigenthümlich ausgeprägt und die griechische Kultur ist das eigentlich belebende Princip für das ganze Alterthum gewesen, sie hatte ihren Anfang, ihren Fortgang und ihr Ende. Schon die spätern griechischen Philosophen Sokrates, Plato erkannten das Ungenügende dieser Kultur, sie wollten weiter, sie erkannten das Ewige im menschlichen Geiste und wollten dieses schon möglichst hier auf Erden entwikelt wißen. Da erschien das Christenthum in der Welt, welches aufs Tiefste das Ewige im Menschen auffaßte, uns aber nicht bloß auf jene Welt hinwies, d sondern schon auf dieser Welt ein höheres Leben entwikeln wollte, die Menschheit sollte sich geistig entfalten, dazu gehörte vor allem daß jeder Einzelne frei wurde und nicht ein Theil der Menschen in Sklaverei blieb. Dieser Kampf dauert jetzt noch fort und ist in unsrer Gegenwart sehr lebendig geworden, und es wird noch geraume Zeit dauern, ehe die einzelnen Menschen und die Völker frei geworden sein werden, ohne welche Freiheit das individuelle und das Völkerleben nicht gedeihen kann. Aus dem Gebot der Menschenliebe folgt zugleich die Berechtigung der Menschen zur Freiheit und diese Freiheit zu erreichen, ist das uns vorliegende Problem. – Ich habe in den letzten Monaten Wochen Barth‘s Reise durch Afrika (das kleine Werk in 2 Bänden) gelesen mit großem Intereße. Da giebt es besonders viel zu thun. Der Muhamedanismus hat zwar einerseits das Heidenthum möglichst vertrieben, ist noch damit beschäftigt, und bringt den Heiden einen Begriff von Gottes Einheit allmählich bei. Aber der dem Muhamedanismus innewohnende Fluch ist die Sklaverei, man schaudert, wenn man liest wie dort mit den Menschen umgegangen wird. Sklavenjagden sind die Lieblingsbeschäftigung der dortigen Despotenfürsten und leider haben ihnen die Christen einen Theil || ihrer Sklaven abgenommen. Aber es rührt sich in Amerika gewaltig, diesem scheuslichen Misbrauch ein Ende zu machen und das Ziel wird erreicht werden. Der Süden in Afrika ist ein schönes, fruchtbares Land und die Einwohner theils Berbern aus dem Norden Afrikas, theils Neger. Diese letztern sind sehr gutartig und sehr für ein glükliches Familienleben geeignet, wenn sie nur der Despotismus nicht so drükte. Bahrdt hat durch die Entdekung des Benue die Bahn zur Civilisirung des Innern Afrikas gebrochen, auch Dein Freund Steudner hat das Seinige dazu beigetragen, er hat uns das Innre von Abessinien aufgeschloßen und wenn erst der Kanal von Suez fertig sein wird, so wird von hier aus Abessinien, deßen sogenannte Christen völlig gesondert sind, civilisirt und eine der glänzendsten europäischen Kolonien werden, denn das Land ist prächtig. – So lebe ich denn fortdauernd in dem Bestreben, das Leben der Menschheit zu begreifen. Freilich muß es in der zukünftigen Welt, wo wir auch unsre Lieben wieder finden, noch ganz anders werden. Ich suche vorläufig zu begreiffen, was hier auf Erden zu thun ist und begnüge mich, indem ich den Sternen Himmel ansehe, mit dem handgreiflichen Glauben, daß in diesen Tausend Welten auch für uns noch ganz andere Entwikelungen vorkommen werden, denn in diesem ewigen Schaffen offenbart sich das Wesen Gottes.

Mutter Minchen aus Frankfurt ist während Mimis e hiesigem Aufenthalt einige Tage hier gewesen, was die Gesellschaft noch vermehrte. Ich selbst habe mich hauptsächlich mit den Kindern beschäftigt. Besonders hat mich der kleine Georg, ein liebliches Kind, in Anspruch genommen, der sich sehr an mich attachirte, viel um mich war, mir aber auch zu schaffen machte, er kann noch nicht mit den Händen bis auf den Tisch, sondern nur an den Tisch reichen, da ist aber auch nichts vor ihm sicher und ich mußte meine Stube förmlich hüten, was er nur erreichen konnte ergriff er und hatte ich etwas liegen laßen, so war es in seinen Händen, Papiere, Bücher, der Messingkasten vor dem Ofen etc., ein wahrer Zerstörer. Nun Gott erhalte den kleinen lieblichen Knaben. Carl wird froh sein, die Kinder wieder bei sich zu haben. Für heute genug, mein lieber Ernst. Dein Dich liebender Alter

Alter Hkl. verte ||

Am Sonnabendabend war ich in der geographischen Gesellschaft, wo Bahrdt einen Vortrag über seine Reise nach der europäischen Türkei in diesem Sommer, nach Montenegro, Mazedonien und Tessalien hielt, eben so ein Herr v. Seebach über die Vulkane im südlichen Amerika, insbesondre am Nicaragua See und Umgegend etc. Dove über das Clima dieses Sommers etc. Um 9 Uhr gieng ich nach Hause.

a eingef.: viele; b eingef.: schlafen; c gestr.: für; d gestr.: schon; e gestr.: Auf

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
10.11.1865
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36011
ID
36011