Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Teplitz, 6. August 1861, mit Nachschrift Charlotte Haeckels

Teplitz, 6 August 61

Mein lieber Ernst!

Du mußt doch vor unserer Abreise von hier noch einige Nachricht erhalten. Mutter hat eben ihr 30stes Bad und 7 Duschbäder genommen. Gott gebe seinen Segen. Uebermorgen wollen wir von hier über Dresden nach Görlitz, den folgenden Tag von Görlitz nach Hirschberg, wo wir bis Ende des Monats zu bleiben gedenken. Da wirst Du uns doch einmal hin schreiben. (Adresse: beim Rittergutsbesitzer Adolph Schubert) Wir haben es hier sehr heiß und fast fortwährend schönes Wetter gehabt, mit unter einen halben Regentag durch abkühlendes Gewitter, die Erndte ist in Vollem Gange und überrascht beinah die Landleute, da fast alles zu gleicher Zeit reif wird. An Gesellschaft hat es uns hier nicht gefehlt, es war hier eine förmliche preußische, insbesondere Berliner Colonie, die sich jetzt aufzulösen beginnt. Gertrud neben uns an, dann die Coquerill mit ihrer Begleiterin, August Jacobi, der Präsident v. Brauchitsch nebst Frau aus Stettina, mit dem wir viel umgegangen sind, Sydow nebst Tochter, Lieut. Krause nebst Frau, Geh. Rath Büsching etc. In den letzten 8 Tagen kamen nehmlich noch viele aus Marienbad und Carlsbad, die noch 14 Tage hier baden. Ich bin früh um 7 bis ½ 9 Uhr spatziren gegangen, habe sodann den Vormittag zu Hause zugebracht, um 1 Uhr allein ohne die Mutter, die nicht füglich mitgehen konnteb, zur table d’hotes, dann in den Kaffeesalon Zeitungen lesen, sodann mit Mutterc eine Parthie zu Wagen über Land, meist aber einen Spatziergang in benachbarte Gärten, Abends v. 9-10 Uhr eine Parthie Triktrak mit Mutter. Ich habe Vormittag viel in Momsens römischer Geschichte, dann auch wohl eine Reisebeschreibung in Egypten, zuweilen eine Schleiermachersche Predigt gelesen. So sind die 5 Wochen schnell genug vergangen, lästig war aber doch häufig, besonders in ersten 3 Wochen, wo wir nur 1 Zimmer hatten, die große Hitze. Mutter hat wenig Schmerzen, mitunter etwas Kopfschmerz, ist aber nicht sehr mobil, die Bäder haben sie angegriffen und wir müßen nun erst im Herbst erwarten, was das Bad gewirkt hat. Sie sieht übrigens wohl aus und ihr Zustand hat sich offenbar sehr gebeßert. In Hirschberg hoffen wir nun noch die gesunde Gebirgsluft zu genießen und die schöne Gegend.

Ich habe über Heringsdorf Deinen Brief erhalten worin Du mir Dein Gespräch mit dem Junker auf der Eisenbahn näher beschreibst. Es ist recht gut, daß er sich so offen ausgesprochen hat. Man lernt dadurch diese Raçe genau kennen und die Zuversicht, mit der er seine Meinung ausgesprochen, die Rükhaltslosigkeit beweist, wie tief diese Menschen in ihren Vorurtheilen verrannt sind, es ist wirklich eine Krankheit der Zeit und nur schwere Prüfungen werden im Stande sein, sie davon zu heilen. Diese Prüfungen werden nicht ausbleiben. Inzwischen müßen wir uns mit dieser Raçe herumkämpfen. Es ist unglaublich, wie wenig oder gar kein Gefühl diese Menschen für Menschenrechte oder Menschenwürde haben, solchen Aristokraten gelten die übrigen Menschen nur eine Herde Vieh, es herrscht eine unglaubliche Verblendung nicht bloß in den Köpfen sondern auch in den Gemüthern dieser Menschen, der freie Mensch mit den ihm von Gott verliehenen Gaben, die er hier auf dieser Erde entwikeln soll, ist ihnen nichts, gar nichts, sie allein sehen sich als Herrn der Schöpfung an; daß diese lieblose Ansicht in den Herzen freier Menschen die innigste Empörung hervorrufen muß, die endlich dahin treibt, wie es in Frankreich geschehen, die Guillotine aufzupflanzen, und sie zu Tausenden abzuschlachten, darin finden sie ein Verbrechen. Ich kann Dir sagen, daß Deine Beschreibung von diesem Gespräch mir durch Mark und Bein gedrungen ist und daß ich sie noch fortdauernd in mir herumtrage. Und nicht bloß die Lieblosigkeit dieser Menschen ist empörend, welche Bornirtheit und Dummheit herrscht zugleich in ihren Ansichten und mit welcher teuflischen Lüge wißen sie dieselbe auszustatten wie ich noch gestern aus dem Wahlprogramm || der äußersten Rechten in der Berliner Zeitung ersehen habe. Da gehört viel Contenance dazu, um solchen Ressentiments gegenüber nicht sofort loszuschlagen. Andrerseits kann nur ein gewißes Mitleid über solche Verblendung die innre Wuth mildern. Denn man weiß in der That nicht, soll man diese Menschen mehr haßen, oder bedauern. Wohin können von Jugend auf eingebläute, gehegte und absichtlich recht tief eingerammte Vorurtheile den Menschen bringen und welche Verblendung gehört dazu, um zu glauben, daß ein freier Mensch, der noch irgend ein Gefühl seiner Würde hat, sich diesen fügen werde. Ich bin mit deinem Benehmen, so wie Du mir es darstellst, sehr zufrieden, denn d stillschweigend hinnehmen kann man solche Raisonnements nicht, diese Menschen würden glauben, daß man ihre Ansichten anerkennte oder sich fürchtete, ihnen entgegenzutreten, und wenn dann der Junker impertinirt wird, so möchte man sogleich zum Schwerdt greifen und ihn niederhauen. Trotz diesem innern Gefühle, was ich in mir trage, hat mich das Leben doch äußere Mäßigung gelehrt und auch Du wirst diese Mäßigung immer mehr üben lernen. Es ist gut, daß Du objektiv geblieben bist und ihm zu erkennen gegeben hast, daß Du nichts Persönliches gegen ihn wolltest, sondern nur die Sache. Denn diese Menschen in ihrem Wahnsinn sind in der That nicht zurechnungsfähig.

Deine Äußerungen über das Duell haben mich veranlaßt, mit Sydow über diesen Gegenstand Rüksprache zu nehmen. Er meinte: so wie die Civilisatione jetzt noch in der Welt liege, in diesem ihrem gegenwärtigen Stadio sei das Duell, wie der Krieg, ein noch nicht wegzuschaffendes Uebel. Aber in seiner gegenwärtigen Gestalt sei es ganz verwerflich. Das Gesetz verpöne es und doch stehe ihm wieder etwas entgegen, was die Strafe so gut wie wegzunehmen suche, die Begnadigung. Dies sei ein Unsinn, man müße entweder gar kein Strafgesetz f geben, oder wenn dieses einmal vorhanden sei, auch die Strafe ausführen. Das vernünftigste seien noch die militärischen Ehrengerichte. Wenn aber solche Fälle zwischen Militär und Civil vorkämen, so müßten besondere Ehrengerichte organisirt sein, wobei nicht einseitig das Urtheil von Standesgenoßen von Einer Seite entscheide. – Was mich betrifft, so glaube ich allerdings, daß es Kränkungen der Ehre giebt, die kein richterliches Urtheil wieder gut machen kann. Wer mir die Achtung in der bürgerlichen Gesellschaft zu nehmen sucht, und dieses auf verschiedene Weise ausspricht, wer durch sein Betragen meine menschliche Würde kränkt, muß sich gefallen laßen, daß ich ihn dafür züchtige. Nun ist aber freilich die Art, wie dieses g jetzt durch das Duell geschieht, widersinnig. Wer fordert, soll dem andern den ersten oder gleichzeitigen Schuß gestatten und hat dafür noch zu erwarten, daß er todt geschoßen wird. Vor 100 Jahren war das Duell auf den Degen das üblichere und vernünftigere. Das hatte noch einen Sinn, denn anfallen durfte ich den Beleidiger nicht, er mußte sich wenigstens entschuldigen können. Aber den Gebrauch des Degens haben wir so gut wie verlernt und man ist allerdings ausgesetzt, dass der fertigere od. geschiktere Beleidiger mich noch überdem zusammenhaut! Kurz der Fall des Duells, wenn und unter welchen Umständen es gestattet werden könne? ist noch nicht im Klaren. Ich glaube: die öffentliche Meinung wird jetzt, wo diese Fälle öfterer eintreten, diesen Gegenstand mehr ins Klare bringen und wenigstens angemeßnere schiedsrichterliche Urtheile herbeiführen. So weit für heute. – Du wirst nun bald Deine Ferien antreten und die Muße für die Vollendung Deines Buchs benutzen können. A Dieu Dein Alter

Hkl

[Nachschrift Charlotte Haeckels]

Mein lieber Herzens Ernst! Für heute nur noch den aller schönsten Gruß von Deiner Mutter. Tante Gertrude grüßt herzlich. ̶

Vater hat hier ein mal H. Tüder getroffen, der mit Dir in Neapel war und sich sehr nach Dir erkundigt hath und Dich herzlich grüßen läßt.i

aeH

H: EHA Jena. Egh. Brief, 1 Bl., 27,5 x 22,0 cm, 2 S., Besitzstempel, D: ungedruckt.

a gestr.: Berlin; eingef.: Stettin; b gestr.: lieber zu Hause blieb; eingef.: nicht füglich mitgehen konnte; c eingef.: mit Mutter; d gestr.: hinn; e korr. aus: Civilisationen; f gestr.: geseh; g gestr.: durch das; h weiter am Rand von S. 1: Vater hat hier...Dir erkundigt hat; i weiter am Rand v. S. 2: und Dich herzlich grüßen läßt.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
06.08.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35941
ID
35941