Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 2. September 1869, mit Nachschrift Charlotte Haeckels
Berlin 2 September. | 69.
Mein lieber Ernst!
Deinen Brief vom 28 Sptmb. haben wir erhalten und wir antworten Dir sogleich. – Carls Verheirathung in der Kirche ist schon den 17ten Vormittags. Du mußt also am 16ten Abends hier eintreffen und kannst dieses um so eher, als Du doch Deinen Zwek, die Erdschwämme zu finden nicht erreicht. Die Reise ist die vielen Strapazen nicht werth... Man kann nicht alles im Leben erreichen, was man will. Du hast schon genug in der Welt gesehen. Hier bekommen wir schon Herbst. Die Tage werden kürzer und die Nächte kühler. Ich lese jetzt in Deiner Morphologie, verstehe aber vieles davon nicht. Ich muß mich damit trösten, daß es Dir Freude macht und daß Du doch in Jena einen sehr angenehmen Aufenthalt hast, besonders auch den Umgang mit Deinem Freunde Gegenbauer, deßen Frau jetzt ganz außer Gefahr ist. Dieser Dein Aufenthalt ist mir doch sehr lieb, besonders da Dein dortiges Unterkommen sich so angenehm gestaltet hat. Du wirst a so Gott will noch viele Reisen machen und noch vieles sehen und hören, was für Dich sehr intereßant ist. Ich für meine alten Tage (88 Jahr) muß mich darauf beschränken, meine Kinder bei mir zu sehn, mit dem Reisen hat es ein Ende. Aber mein Geist es noch frisch und wenn er so bleibt, so wünsche ich noch ein Paarb Jahr zu leben. Denn die Weltgeschichte geht mir durch den Kopf. Ich habe in diesem Sommer das Mittel Alter durchlebt und bin jetzt in der Neuzeit, bis zum gegenwärtigen Stadio, wo Preußen durch den Erwerb v. Hannover und die Gründung des norddeutschen Bundes eine wirkliche europäischec Großmacht geworden ist. Ich wohne sehr angenehm im Tiergarten und mache täglich mit Mutter von 1-2 Uhr eine Tour per Droschke und gehe Abends v. 6- ½ 8d Uhr spatzieren, wodurch ich müde werde und schön schlafe. Dein Dich liebender Vater. Carl Haekel.
Deine Frau hat zum 6ten dieses ihre Ankunft hier angekündigt.||
[Nachschrift Charlotte Haeckels]
Berlin d. 2ten | September 1869
Mein lieber Ernst!
Eben erhalten wir Deinen Brief, den ich jetzt gleich an Agnes schicke. Du kannst denken, wie sehr es mich betrübt daß Du unwohl warst. Wenn Du nur wirklich wieder besser bist, Du hast doch auch wieder tolle Fahrten gemacht. Du solltest doch wirklich auch endlich anfangen, || auf deine Gesundheit Rücksicht zu nehmen, denke doch das Du unser ganzes Lebensglück auf’s Spiel setzt; und Du sollst ja erst recht für und mit Frau und Kind leben. – Daß Du nicht das gefunden was du erwartet thut mir leid; aber wir können einmal im Leben nicht alles erreichen; übrigens sollte dich dies treiben je eher je lieber || Heim zu kommen; Vater sehnt sich mit uns so sehr nach Dir; und zue Karls Hochzeit die am 18ten sein soll darfst Du keinenfalls fehlen; für uns allen wird es doch sehr ernst sein, und ich rechne darauf, daß Du uns manches leichter machen wirst. Uebrigens wird die Trauung nicht wie Vater schreibt in der Kirche, sondern bei Liskow im Hause sein. – ||
Leb wohl mein Herzens Junge, komme bald gesund zurück zu Deiner alten Mutter Lotte. f||
2) Von Karl wirst du wohl einen Brief erhalten haben, der Dich sehr bittet, ja zu seiner Hochzeit hier zu sein, bis jetzt ist sie auf den 18ten September festgesetzt. – Hoffentlich kommst Du aber viel früher hin, Deine alten Eltern wollten Dich auch noch orndlich haben, und sehnen sich auch nach Deiner Frau und Kind; die auch erst kommen will, wenn Du kannst, wie mir gestern M. Reimer sagte. ||
Ehe ich es vergesse: bald nach deiner Abreise kam an Dich adressirt vom Buchhändler Friedländer 2 Bücher mit einer Rechnung über 17 Thaler, die ich nicht bezahlt habe. Das Paket habe ich nicht aufgemacht, sondern so weg gelegt, schreibe mir ob ich es aufheben soll bis zu Deiner Rückkehr oder ob ich es zurückschicken soll? –
Tante Bertha ist noch immer sehr erkältet, sie hat deshalb || auch die Reise nach Bonn noch verschoben, sie war von Gustchen aufgefordert nach Sobernheim zu kommen und später mit allen nach Bonn zu gehn. Doch scheint es uns allen nach reiflicher Ueberlegung besser, daß sie erst nach der Hochzeit nach Bonn geht. Auguste war noch in Gepperathg, weil der Kleine von Johannes krank war. Wie viel muß ich an Bleeks || denken, die arme Auguste und die junge Frau; und doch ist es ja eine Wohlthat, daß der arme Johannes erlöst ist. –
Nun, mein lieber Herzens Ernst für heute nur noch den innigsten Gruß Deines Vaters. Gott sei mit Dir. Schreibe uns so oft du kannst, unsere Gedanken sind immer bei Dir. Mit der innigsten Liebe
Deine
Mutter Lotte.
a gestr.: noch; b eingef.: Paar; c eingef.: europäische; d eingef.: 8; e korr. aus: Zu; f Weiter am Rand v. S. 1: Leb wohl mein...alten Mutter Lotte.; g korr. aus: Getperath