Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin], 13. Januar [1865]

13 Januar

Lieber Ernst!

Ich muß Dir doch auch ein Paar Worte schreiben, wie es mir geht und was ich treibe. Die vielen Regentage, die wir hinter einander hatten, waren sehr traurig. Einen bin ich noch mit dem Regenschirm gegangen, dann mußte ich zu Hause bleiben und in der Stube auf und abspatzieren. Aber seit einigen Tagen haben wir wieder beßeres Wetter, schönes Spatzierwetter, da mache ich dann meine gewöhnliche Tour am Kanal hinunter bis zu v. d. Heydt, von da durch die Hohenzollernstraße bis zum Hofjäger und von da zurük bis zum Potsdamer Thor und so nach Hause, dazu brauche ich gerade 1¼ Stunde.

Ich lese jetzt viel über die Päbste von Ranke. Da sieht man recht die wunderbaren Fügungen des Weltgeistes und wie er ohne die menschliche Freiheit zu gefährden, welche die Bedingung alles vernünftigen Seyns ist, alles so zu wenden weis, daß der göttliche Plan dennoch durch geht. So mußte der deutsche Protestantismus an der gegenseitigen Eifersucht der Päbste und der Kaiser seinen treuesten Gehülfen und Beschützer finden und so kommt der italiänische Protestantismus, der nun einmal an dem Pabst hängt und nicht von ihm laßen will, nach 3 Jahrhunderten wahrscheinlich dahin, wohin er damals unter seinen eminentesten Führern (Contarini) gewollt hat. Die extremen Schritte des jetzigen Pabstes dürften wahrscheinlich dahin führen. Aber dazu muß der arme einzelne Mensch sich in Geduld üben lernen. Was unsre Preußischen Angelegenheiten betrifft, so habe ich eben die heutige Morgenzeitung vor mir liegen. Es heißt darin unter dem Artikel: „Berlin 12. Januar“ „Die Umstände seien dermaßen günstig, daß es dem König vergönnt sei, aus den Erfolgen des Krieges die Segnungen des Friedens erwachsen zu laßen. Deshalb wolle er vor allem, daß die Verständigung über die Militärfrage unter Mitwir-||kung des Landes gesetzlich festgestellt werde und hierauf die Erledigung der Militärfrage erfolge. Hiernach werde dem Landtage eine Vorlage gemacht werden, über die für den Krieg verausgabten Gelder, sobald die Rechnungen darüber vorliegen werden.“ a Das heißt also mit andern Worten: der Landtag soll überb die für den Krieg verausgabten Gelder entscheiden und sie genehmigen. Mehr will die 2te Kammer nicht. Nach Hℓ. v. Bismarks Princip braucht es hiezu keine Genehmigung, sondern es steht bei ihm, Ausgaben nach Willkühr zu machen und sobald Geld im Schatze ist, auch ohne Genehmigung des Landtags zu disponiren. Wie wir anderweitig schon wißen, betragen die Kriegsausgaben 20 Millionen (so viel Geld hat sich im Schatze gefunden) und die 2te Kammer wird diese Ausgabe genehmigen, da der Hauptpunkt erreicht, nehmlich Schleswig Holstein von Dänemark losgerißen ist. Vom Princip des 3-jährigen Dienstes will der König nicht abgehen, die Sache aber so einrichten, daß er faktisch ein 2jähriger wird; womit die Kammer zufrieden gestellt sein würde.c Hℓ. v. Bismark will außerdem Schleswig Holstein an Preußen annektiren, was ihm nicht gelingen wird, indem hierdurch ein Deutscher Staat (Holstein) Preußische Provinz würde, was Oesterreich, um sein Ansehn in Deutschland nicht zu verlieren, nie zugeben wird und auch nicht zugeben kann, da ganz Deutschland außer Preußen dagegen ist, es müßte eines Tages gewärtigen, allmählich selbst annektirt zu werden; wogegen es sich mit allen Haaren sträubt. Wenn Hℓ. v. Bismark dagegen den Mittelmächten anpreisen will, daß sie keine Trias bilden können, weil sie eben kein Eins sind und Oesterreich und Preußen jedes für sich größer sind als jenes Eins, wenn er also bei Bundesbeschlüßen ein Uebergewicht dieser beiden verlangt, bevor jene Trias gehört werden kann, so hat er darin ganz recht und mag er jetzt weiter fechten, um dieses Uebergewicht bundesmäßig fest zu stellen.

Was meine Gesundheit betrifft, so sindd die Stunden vor Mitternachte sehr unruhig und der die Phantastereien beherrschende Geist hat alle Mühe sie nur einigermaßen im Zaum zu halten. Dagegen || habe ich in den Stunden nach Mitternacht (etwa von 3 Uhr angerechnet) das größte Bedürfnißf nach einem ruhigen, 5stündigen Schlaf und wenn dieser, wie es einige Mahl geschehen ausbleibt, so fehlen mir alle Kräfte für den folgenden Tag. Mein ganzes Bestreben geht also dahin, mir die Stunden von 3–8 Uhr für einen 5stündigen ruhigen Schlaf freizuhalten. Kommt dann der Sommer und dieg längeren Tage, dann ergiebt sich auch von selbst eine andre h Nacht- und Schlaf Eintheilung und ich kann mich auch dann in den Sommermonaten mit weniger zufrieden geben. Was mich jetzt am meisten quält, ist das Juken, es isti ganz unausstehlich und vergällt mir das Leben. Nach Quinkes Aeußerung soll ich, wenn das Frühjahr kommt, Schwefelbäder brauchen, die das Juken beseitigen werden. Wir wollen das Beste hoffen. Zuletzt werde ich wohl zum August wieder nach Warmbrunn gehen, um das rheumatische Uebel zu vertreiben, j da k nach allen Erfahrungen Warmbrunn für dergleichen Uebel so specifisch wirken soll, wie die China gegen das Fieber. Nun adieu mein lieber Ernst, bleibe für jetzt noch ganz ruhig in Jena, es wird sich dann Dein innres Leben so fest allmählich gestalten, daß Du die Zukunft ruhig abwarten kannst. Dein

Dich liebender Alter

Hkl

Grüße Deine Freunde und auch Seebek.

a gestr.: Also; b eingef.: über; c mit Einfügungszeichen eingef.: Vom Princip … gestellt sein würde.; d eingef.: sind; e korr. aus: Mittag; f hier irrtüml.: Befürdniß; g gestr.: einen; eingef.: die; h gestr.: Nacht; i eingef.: es ist; j gestr.: von; k gestr.: es

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
13.01.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35655
ID
35655