Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Groß Lichterfelde, 9. Februar 1890

Gr. Lichterfelde

9 Februar 1890.

Lieber Bruder!

Vielen Dank für Deine Mittheilung vom 3 Februar über die wohlgelungene Antritts- oder Habilitations-Vorlesung und Disputation meines Heinz. Das war doch mal eine recht erfreuliche Nachricht, für mich um so wohlthuender, als ich in dieser vergangenen Woche wieder Schweres in der Familie durchmachen mußte. Denn bedrübend ist es, [dass] ich den Julius am vorigen Donnerstag auf seinen Wunsch wiederum in die Stotterheilpension habe zurückgehen lassen müssen, da es mit seiner Besserung, seitdem er außerhalb der Anstalt bei Tante Bertha wohnte, wieder rückwärts ging. Er hatte allen Muth verloren und radebrechte im Sprechen mehr als vorher, außer wenn er im Unterricht oder sonstigem Gespräch bei Ernst war, wo er fast immer fließend gesprochen hat. Er hat guten Appetit und Schlaf, sieht aber trotzdem elend aus, weil er sich über seinen Mangel im Sprechen trübe Gedanken macht, u. ist ängstlich, sobald er mit jemand zusammen kommt, von dem er glaubt, er beobachte sein Sprechen. Ich werde ihn vorläufig noch in Berlin in der Anstalt lassen müssen. – ||

Dann bekam ich am 5t von Hermann die Nachricht, daß es sich mit den Wahnvorstellungen seiner Frau verschlimmert hat. Er wünschte eine weibliche Stütze für sie im Hause. Ich habe ihm geschrieben, nun helfe nichts Andres, als sie längere Zeit in einer Anstalt unterzubringen (Halle’sche Univ. Klinik von Hitzig oder Landirrenanstalt bei Halle habe ich ihm vorgeschlagen) und für eine Vertreterin im Hause zu sorgen. Ich sehe den Zustand sehr ernst an; etwas Hoffnung giebt mir nur der Umstand, daß nach solchen Operationen, wie sie Minna durchgemacht, leicht derartige nervöse Zustände in heilbarer Form eintreten sollen.

Potsdam

eodem Abds.

So weit war ich mit dem Schreiben heute Nachmittag bei Hahn gekommen, bei dem wir zum letzten Male in seiner bisherigen Wohnung zu Gaste waren. Frl. Defert geht in dieser neuen Woche ab, um in Quedlinburg eine ähnliche Stellung anzutreten. Richard hielt ihr bei Tische eine sehr anerkennende Abschiedsrede und schenkte ihr zum Andenken an die Kinder einen Ring. Marie, mein Ernst, Friedel, Tante Bertha und Friedel[!] war waren außer mir die Tischgäste, Frl. Kriebe || meine jetzt definitiv angenommene Wirtschafterin nicht zu vergessen. Dienstag schon kommen die beiden Enkelinnen ganz zu uns und Richard behülft sich mit der Köchin bis zu seiner Verheiratung. So wird das Haus bei uns wieder voller.

Julius war nicht da, weil er sich ganz bei dem Stotterlehrer einklaust.

– Nun zu Dir, lieber Bruder, Du willst also beiden Hochzeiten in der Verwandtschaft entgehen. Das thut mir ja sehr Leid; aber ich weiß, daß Du Deine Reise, zu der ich Dir alles Glück wünsche (ich denke nach Oran einmal zu schreiben) nicht anders einrichten konntest. Aber kann denn nun nicht Agnes mit den Töchtern kommen? Der 2te Ostertag kollidirt doch nicht mit der Confirmation? Gieb das zu erwägen u. schicke uns doch jedenfalls Eure Lisbeth auf einen Nachmittag herüber zur weiteren Besprechung.

Dein Geschenk für die Hochzeit werde ich nach bestem Wissen auswählen. Vielleicht paßt ein Teppich. ||

Ich sitze hier in mancherlei häuslichen Arbeiten u. außerdem habe ich mich leider auch um die nationalliberale Wahldeputation zu kümmern. Verzeih’ also, wenn ich jetzt schließe, damit Du den Brief noch vor der Abreise erhältst. Dienstag Abend haben wir bei uns eine nothwendige Gesellschaft von ca. 26 Personen, Mittwoch Abend ist Wahlversammlung, dazwischen Sitzungen im Gerichte; so ist immer was vor. Aber es geht mir gut; ich halte es aus, wenn ich auch manchmal schlechten Schlaf habe.

Gott befohlen auf die Reise!

Dein treuer Bruder

Karl

Wird Heinz nicht mal schreiben?

Marie war vora vorige Woche 5 Tage in Berlin zu einkaufen; heut ist sie bis übermorgen in Lichterfelde geblieben, um mit der Defert noch Glas und Porcellan zu packen; sie kommt erst Dienstag mit den Kindern wieder.

Zu Deinem Geburtstag, den Du wohl noch nicht in Afrika (?) zubringst, sondern unterwegs, meinen herzlichen Glückwunsch!

bLaß mir doch die Adresse Walter’s in München schreiben. Oder kommt er bald in Ferien nach Hause. Ich habe die Biografie von Maler Ludwigc Richter für ihn zurecht liegend! –

a eingef.: vor; b weiter am Rand v. S. 4: Laß mir doch…ihn zurecht liegend! –; c eingef.: Ludwig

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
09.02.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35256
ID
35256