Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 1. Dezember 1886

Potsdam 1 Decbr

1886 früh.

Lieber Bruder!

Da unsre liebe Alte nicht schreiben kann, muss ich doch mal die Feder ansetzen und Dir Nachricht geben. – Mutter geht es ja leidlich, aber ihre Gebrechlichkeit nimmt doch recht zu. Sie quält sich immer noch mit einem Hexenschussartigen Leiden, welches ihr jedes Aufstehen oder Niedersetzen schmerzhaft macht. Dazu kommen die gichtischen Beschwerden, die ihr die Hände unbrauchbar machena (und deshalb auch das Schreiben hindernb). Und doch trägt sie alles mit musterhafter Geduld. Wenn nur ihr Eigensinn nicht ebenso ausgezeichnet wäre! – So können wir ihr nicht mehr ein warmes Winter-cKleid auf den Leib bringen. Sie läuft immer noch in dem alten fadenscheinigen schwarzen Baruge-Kleide, eigentlich ein Sommerkleid! – herum. Dafür hat sie sich aber doch auf mein dringendes Zureden des Hinauslaufens in Küche und Speisekammer seit 8 Tagen begeben. Ihren alten Nachtstuhl hat sie sich in die Schlafstube setzen lassen.

Am Sonntag vor 8 Tagen waren wir nicht bei ihr || oben, weil es ihr zu schwach ging. Aber diesen letzten Sonntag machte sie es doch möglich u. wir sind doch zu 5 oben gewesen.

Ihr neues Mädchen macht sich übrigens ganz vortrefflich, weiß mit ihr umzugehen und so manches durch gütliches Zureden durchzusetzen, und ist dabei bescheiden und gefügig. Sie pflegt Mutter, soweit es irgend geht.

– Bei uns geht es mit dem Interregnum von Hedwig Richter ganz glatt und gut. Hedwig ist ein anspruchsloses u. dabei sehr verständiges u. umsichtiges Wesen; die mit allen im Hause gut auskommt. Marie ist nun seit gestern vor 8 Tagen im Haag, die Reise ohne Zwischenfall abgelaufen u. sie mit ihrem dortigen Aufenthalt sehr zufrieden, – wenigstens nach ihrem ersten Briefe zu schließen. Es wäre übrigens auch ein Kunststück, wollte man sich bei Mulder’s nicht wohl fühlen! Nur Friedel macht mir etwas Sorge. Am Sonnabend mußte er wegen einer Halsentzündung das Bett hüten; er ist zwar wieder auf u. soll heut wieder zur Schule, aber er sieht noch sehr klaumiserig aus u. ich bin nicht sicher davor, daß noch eine Hautkrankheit || sich daraus entwickelt. Dann müßte ich natürlich Marie baldigst wieder zurückrufen, was mir für sie recht fatal wäre. Sonst soll sie bis kurz vor Weihnachten bleiben.

Die beiden Juristen ochsen ihr Jus weiter, Georg mit der stillen Hoffnung, baldigst aus diesem ihm wenig behagenden Zustand durch eine Mobilmachung herausgerissen zu werden. Bei Hermann wird No 3 täglich erwartet. Die schweigsame, blöde Schwägerin ist dazu schon eingetroffen, u. Ernst zeigt sich hierd häufig von der Pfaueninsel aus, wo es ihm ja ganz gut geht.

Das wäre von hier zu berichten. Von Heinz habe ich nur einen Brief bis jetzt. Ich denke, er wird in Göttingen tüchtig arbeiten. Mit Carl geht es gar nicht sonderlich; sein gestörter Zustand dauert diesmal recht lange.

Nun aber zu Berlin! – Am 4t Sonnabend ist der Sack’sche Familientag dort (siehe Anlage). Willst Du Dich nicht entschließen hinzukommen? – Das Verhältniß zu Heinrich Sethe kann doch dazu kein Hinderniß sein. Es sind c. 70 Personen schon angemeldet u. werden wohl 100 zusammenkommen. Man hofft, daß dieser Tag doch ein recht anregender sein wird. Kann ich eher, fahre ich schon zu Freitag Abend herüber. Du würdest ja bei Tante Bertha logiren können und diese sich darüber sehr || freuen. Sie ist es auch, die mich veranlaßt hat, Dich nochmals dazu aufzufordern.

Bitte um baldige Antwort! – u. um einige Nachricht, wie es bei Euch geht, namentlich was Deine Frau macht.

Mit herzlichem Gruß

Dein treuer Bruder

Karl

P.S.

Wenn Du kannst, so komme doch schon zu Freitag Abend. –

Mit Heinrich Sethe bin ich jetzt ganz im Reinen, er hat seine Schulden an die Theilungsmasse so weit mir solche auf mein Erbtheil überwiesen war, mir baar ausgezahlt.

– Für die Westphalia wird erst kommenden Februar eine Gewerkschaftsversammlung anberaumt und darin über etwaige neue Zubuße beschlossen werden. Kann ich irgend, so reise ich dann hin! –

Kommst Du nicht jedenfalls in der Weihnachtszeit her? –

Bei Hahn’s geht es ja leidlich gut. Die kleine Eva gedeiht nach Möglichkeit.

a eingef.: unbrauchbar machen; b eingef.: hindern; c eingef.: Winter-; d eingef.: hier

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
01.12.1886
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35186
ID
35186