Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 19. August 1872
Potsdam 19 August 1872
Lieber Bruder!
Du sitzest nun, nach den letzten Nachrichten, wieder in Deinem Jena hinter der Schwammarbeit, die wohl die Hauptursache davon gewesen sein wird, daß Du so bald heimkehrtest, ohne den ganzen Reiseplan auszuführen. Ich kann Dir nicht verdenken, daß Du die Arbeit gern bald ganz hinter Dir zu haben wünschest. Aber Du mußt Dir dann noch jedenfalls eine gründliche Erholung hinterher gönnen. Mutter’s Vorschlag, Du möchtest solche in einer Thüringer Reise mit Agnes zusammen Dir gewähren, scheint mir recht acceptabel. Hast Du für Agnes eine passende Vertretung zu Hause, so könntet Ihr Euch ja in Schwarzburg, Ziegenrück oder sonst wo auf etliche Tage festsetzen u. hübsche, nicht zu anstrengende Excursionen machen. ||
Uns geht es fortdauernd gut. Darf sich auch Clara noch nicht alles bieten, so ist sie doch im Ganzen recht munter u. frisch. Haus und Garten behagen uns sehr. Die Kinder gehen tapfer zur Schule. An Abwechslung des Lebens fehlt es nicht. Ich war am 9. 10t und 11t August hintereinander drüben in Berlin, um die Jahnfeier mitzumachen, traf dort so manchen älteren Turnbekannten und machte nette neue Bekanntschaften. Das Denkmal ist recht gelungen, namentlich auch der aus den verschiedensten Steinarten zusammengesetzte, in Geschenken der einzelnen Vereine aus allen Weltgegenden bestehende Unterbau. Die mit der Feier verbundenen Schauturnen fielen trefflich aus, besonders dasjenige der Vorturner der Berliner Turnerschaft. –
Seit Freitag bis heut früh haben wir Besuch gehabt von Frau Dr. Krüger aus Danzig. Sie erkundigte sich angelegentlich nach Dir u. wir gedachten viel der alten Zeiten in Ziegenrück u. des „Herrn Unschuld“. − ||
Karl ist nun auch schon wieder zurück in Jena. Ich habe mich darüber recht gewundert u. hoffe auf nähere Nachricht darüber. Ich denke, er wird sich nun auch ordentlich dahinter setzen und arbeiten. – Mir schien es angemessener, wenn er länger reiste und sich ordentlich umsah. Hin- u. Herreise war ja doch dieselbe. Und eine längere Reise wirkte doch auch noch anders als ein solcher kurzer Ausflug auf seine ganze Entwicklung ein.
Dieser Tage hat auch Onkel Müller sich hier ein neugebautes Haus gekauft in der Augustastraße. Vorläufig wirda es vermiethet. Aber später denkt er sich hierher zurückzuziehen. Die Unterhandlungen haben mich mehrfach in Anspruch genommen, aber auch zur Besichtigung so manches käuflichen Grundstücks veranlaßt. ||
Es wird jetzt hier stark gekauft und die Grundstücke sind im Preise recht gestiegen.
Mutter sehen wir beinahe täglich. Gestern waren wir mit Frau Dr. Krüger zu Mittag bei ihr. Es geht ihr leidlich. Im Ganzen sind doch ihre Kräfte jetzt recht mäßig u. sie ist schwer zu bewegen, einen b Ausflug zu machen. Vorgestern fuhren wir mit ihr nach Baumgartenbrück. Kommt sie heraus, so hat sie meist rechte Freude daran.
Nun leb wohl, liebes Bruderherz, laß bald wieder von Dir hören. Clara grüßt mit mir Euch alle.
Dein treuer
Bruder.
NB. Seit Donnerstag ist auch Gustav Boesche der Theologe, hier; er wird wohl c. 14 Tage hier bleiben u. ich denke manchen Spaziergang mit ihm zu machen. Wenn nur das Wetter sich hält, das seit gestern unsichrer geworden ist.
a gestr.: ist; eingef.: wird; b gestr.: grü