Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 18. Mai 1871

Potsdam 18. Mai 1871.

Lieber Bruder!

Du beklagst Dich in Deinem letzten Briefe an Mutter über das jammervolle Frühlingswetter und verschiedenes häusliches Ungemach. Das Dich Drückende ist doch wohl nur, daß grad mal alles zusammenkommt. Denn glaubst Du etwa, es ginge bei uns besser mit der Witterung? Vom Frühling ist gar keine Rede; man hat früh +3-5° R., um Mittag durchschnittlich +10°, man muß ordentlich heitzen, um nur eine leidliche Temperatur in dem Zimmer zu haben; die Kinder erkälten sich alle Augenblicke, und wenn nicht die Blütenbäume und das junge frische Grün daran erinnerten, wie weit wir bereits in der Jahreszeit vorgerückt sind, müßte man glauben, sich im November zu befinden und auf den Winter loszugehen. Das ist || hier nicht anders als bei Euch. Ueber diese Unbehaglichkeit mußt Du Dich also mit uns trösten. Wir werden mal wieder um den Frühling geprellt und dann plötzlich in den heißen Sommer hineingeworfen werden.

Näher geht mir Dein häusliches Kreuz; denkst Du denn nicht daran, Agnes irgendeine Badekur gebrauchen zu lassen? – Es wäre doch sehr zu wünschen, daß das Uebel gründlich gehoben würde. Und wenn die Amme zu wenig Nahrung hat, könnt Ihr dann nicht wechseln? – Was aber den spärlichen Besuch der Universität betrifft, so wirst Du den wohl auf die Nachwirkungen des Krieges schieben müssen. Das wird sich ändern, wenn die Truppen wieder zurückkehren.

Für Deine Mittheilungen über Jena besten Dank. Boesche‘s reflektiren jetzt in erster Linie auf Boppard oder Weinheim, des Klimas wegen; eventuell denken sie an Arnstadt. Er ist auf Reisen, sich diese Orte zu besehen. Zum 1 Juli müssen sie umsiedeln. Der Göttinger Sohn, ebenso wie Hermann Lisco haben uns besucht. Beiden ist die Kampagne gut bekommen. Jetzt haben wir Besuch von Frau Alma Wendhausen, Pflegeschwester Claerchen’s; leider stört uns a das Wetter, sie hübsch umherzuführen. ||

Was sagst Du zu Aegidi’s wahrscheinlicher Berufung ins Bundeskanzleramt als Legationsrath? Er kommt dort auf den richtigen, seinen Kenntnissen u. Fähigkeiten am meisten entsprechenden Posten und wird, glaube ich, mehr leisten als auf dem Katheder. Freund Meyer ist nun auch wieder von seinem alten Wahlkreise in den Reichstag gewählt. Ich hoffe, ihn mit dem Erlanger Marquardsen zusammen hier zu sehen.

Zu Deiner Erheiterung sende ich Dir anbei einen humoristischen Aufsatz über Darwinismus, in dem Du einige stille Kloppe bekommst. Er ist jedenfalls mit Witz geschrieben u. hat mich und Clara sehr amüsirt. Was ist der B? −

Bitte, bringe mir doch bei Deinem nächsten Kommen Herweghs Gedichte mit die Du mir ausgeführt hast. Clara behauptet, Du thätest das doch nicht. Du mußt also schon zu Deiner Ehrenrettung es thun.

Ade, herzlichen Gruß von

Deinem treuen Bruder

Karl

Meine Frau, die dies eben liest, behauptet, ich sei ein ganz schändlicher Mann.b

a gestr.: auch; b weiter am Rand v. S. 3: Meine Frau, die...ganz schändlicher Mann.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
18.05.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35027
ID
35027