Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 3. September 1868
Landsberg den 3 Septbr. 1868.
Lieber Ernst!
Heute erhielt ich Dein aus München abgeschicktes (2tes) Blatt des Reisetagebuches (das erste habe ich nicht erhalten) u. ersehe daraus, daß Du vom 4 oder 5t diesen Monats ab in Riva sein willst. Ich versuche es, ob mein Brief Dich dort trifft.
Wir sind recht in Sorgen um Schwägerin Bertha in Ziegenort. Seit nun bald 3 Wochen ist sie krank; erst hieß es gastrisches Fieber, jetzt ist es ausgesprochenes Nervenfieber. Sie wird mit kalten Bädern behandelt, die sie erhält sobald ihre Temperatur 39° erreicht hat. Wie es eigentlich steht, ersehe ich aus den Briefen von Berlin nicht klar; jedenfalls aber ist der Zustand recht bedenklich. Wir wollen aber die Hoffnung nicht aufgeben. Mutter Minnchen (die wegen Nervenfieber in „Wald u. See“, das dort ein Opfer in der Person der jungen Friedrich Mendelssohn Bartholdy Tochter des Kammer Gericht Rats Oppenheim gefordert hat, nach Frankfurt zurückgegangen war) ist am vorigen 25st a mit Tante Bertha nach Ziegenort gereist u. letztre den 28st vorigen Monats nach Berlin zurückgekehrt. Schwägerin Jacobi ist dafür am letzten Montag hingereist u. hat die Pflege übernommen.
‒ Ich möchte Dir das Alles nicht verschweigen; Du mußt wissen, wie es steht. Ach, solche Zeiten frischen die alten eignen Wunden wieder von Neuem auf, abgesehen von dem Antheil, || den man am Schicksal der Kranken nimmt. Schreibe doch ja, wo Du wahrscheinlich auf dem Rückwege zu finden bist, und hinterlasse an den Adress-Orten, wohin Du gehst, damit Dir die Briefe nachgesandt werden können.
Deine letzten Druckbogen habe ich richtig und mit Dank erhalten. Durch die Partien, die die Spezialeintheilung des Thier- u. Pflanzenreichs enthalten, werde ich mich kaum durcharbeiten; dagegen lese ich wieder die letzten Bogen. Dr. Gauss, den es sehr interessirt, hat schon alles durch. An das Bleek’sche Heft habe ich mich noch nicht gemacht. Weißt Du, daß bei ihm ein Junge am 18 Juli in der Capstadt angekommen ist? Tante Bertha schrieb mir es dieser Tage.
Die Aeltern habe ich am [ ] und [ ] in Berlin besucht u. leidlich munter gefunden. Vater hat sich von der Reisestrapaze u. Mutter von einer Cholerine wieder erholt. Ueber Potsdam zog ich Erkundigungen ein. Ob ich Aussichten habe, läßt sich noch nicht übersehen. Vor 1st December cr. würde die Versetzung nicht erfolgen, wenn ich b auch die Entscheidung hoffentlich schon im Laufe des September erhalte. – Die Ungewißheit über Bertha Petersen ist recht peinlich. Die Hochzeit warc auf den 11ten dieses Monats || festgesetzt u. ich sollte mit den 3 ältesten Kindern hinkommen. Doch vermuthe ich, daß sie äußerstenfalls wird hinausgeschoben werden.
‒ Die Kinder sind munter, das Wetter jetzt sehr angenehm, eher etwas kühl, aber doch immer noch so, daß ich mit den 3 Jungen täglich bade. – In diesen Tagen wird der Schlag, der mich traf, nun schon zweijährig, u. doch ist es mir oft, als wär’s erst einige Monate her. Ich glaubte, man gewöhne sich rascher an solche Zustände. Es ist nicht der Fall. Gedenke meiner in Liebe am 6ten, wie ich Deiner am 14ten gedenken werde, alter lieber Junge. Grüß Deinen Freund Allmers schön und freue Dich recht der schönen Natur. Weile aber nicht zu lange im Süden, damit Du nicht zu Hause von dem „Erwarteten“ überrascht wirst.
Ade, die Kinder grüßen.
Dein
Karl.
a gestr.: Montag; eingef.: 25st; gestr.: d. Mittwoch; b gestr.: es; c gestr.: ist; eingef.: war