Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Oskar und Richard Hertwig, Jena, 4. September 1871

Jena 4. Sept. 71

Liebe Freunde!

Die Aussicht, Sie bald hier zu sehen, freut mich sehr. Ich reise übermorgen auf 10–12 Tage nach Berlin zu meinen Eltern und werde spätestens den 18. Sept. hierher zurückgekehrt sein. Sie sollen mir dann jeden Tag willkommen sein, und wir wollen uns an der gemeinsamen Reminiscenz unserer schönen dalmatischen Reise recht erfreuen. Sollte ich früher wiederkommen, so werde ich es Ihnen von Berlin aus anzeigen. ||

Wegen meines zornigen und wohl in etwas zu schwachen Ausdrücken abgefaßten Schreibens, betreffend Ihrer Preisarbeiten, machen Sie sich weiter keine Sorge. Der Ärger, der sich in meiner corrigirenden Seele bei der sechstägigen Bearbeitung Ihres Manuscripts wie eine Gewitterwolke angesammelt hatte, ist in jenem Briefe über Donner und Blitz glücklich entladen, und jetzt herrscht wieder der heiterste Freudschafts-Himmel in ungetrübter Bläue! Übrigens werden Sie meinen Zorn begreiflicha finden, wenn ich Ihnen mündlich noch denselben erläutere. || Es ist wirklich nicht unterhaltend, 50–80 mal – oder noch öfter – „mamillaris“ in mammillata und „Aszidie“ in Ascidie umzuändern, sowie verschiedene Abkürzungen auszuschreiben! Das Schlimmste war aber, daß Sie die b (formell viel sorgfältigere) erste Bearbeitung durch die Art und Weise der Umarbeitung in der sonderbarsten Weise verschnörkelt hatten! Doch das Nähere mündlich!

Wenn ich Sie Beide nicht so ausnehmend lieb hätte und wünschte, Sie mit einer möglichst guten Arbeit Ihre literarische Laufbahn eröffnen zu sehen, hätte ich nicht so viel Werth auf die gute Form gelegt. || Sie müssen auch wissen, daß es mich nicht wenig Mühe gekostet hat, für Sie Beide den ersten Preis auszuwirken. Zwei erste Preise sind gegen die Statuten und der Curator mußte deshalb erst an das Ministerium berichten. Außerdem bin ich auch der Facultät gegenüber für diese besondere Auszeichnung verantwortlich.

Doch das Weitere mündlich! Ich bin Ihnen trotz Alledem noch eben so freundschaftlich zugethan wie früher, und werde auch fernerhin bleiben Ihr aufrichtiger Freund

Haeckel

An Ihre lieben Eltern herzliche Grüße. Neulich besuchte mich Fleischer.

a korr. aus: begl; b gestr.: (viel

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
04.09.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33299
ID
33299