Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Harald Krabbe, Jena, 21. Januar 1872

Jena, 21. Januar 1872

Mein lieber Krabbe!

Ich schreibe dir heute in einer Angelegenheit, die dich sehr überraschen wird. Es handelt sich darum, dich als Professor der Thierarzneikunde nach Jena zu ziehen. Der bisherige Vertreter dieses Faches an unserer Universität, Professor Zürn, welcher kürzlich eine Anatomie der Hausthiere veröffentlicht hat, ist soeben nach Leipzig berufen worden. Unter denjenigen Veterinar-Medicinern, welche sich für seinen Ersatz eignen würden, bist du in erster Linie mit vorgeschlagen und ich habe zunächst den Auftrag erhalten, privatim bei dir anzufragen, ob du überhaupt unter angemessenen Bedingungen diese Berufung hierher annehmen würdest. Deine Zuhörer würden vorzugsweise die an der Universität Jena studirenden Landwirthe sein, für die es auf elementare Kenntnisse in den wichtigsten anatomischen und physiologischen Verhältnissen und den gewöhnlichsten Krankheiten der Hausthiere (Pathologie und Therapie) ankömmt. Prof. Zürn hat in den beiden letzten Semestern hierselbst folgende Vorlesungen gehalten:

I.Im Sommer 1871.1, Veterinaere Pathologie und Therapie, wöchentlich 3 Stunden.

2, Lehre vom Hufbeschlag, wöchentlich 2 Stunden.

3, Ueber die inneren Parasiten der Menschen und der Hausthiere,

wöchentlich 1 Stunde.

4, Veterinaer-Klinik, täglich 2 Stunden.

II.Im Winter 1871/72:1, Anatomie und Physiologie der Hausthiere, wöchentlich 3 Stunden.

2, Hausthier-Pflege, 2 Stunden wöchentlich.

3, Veterinär-Entbindungskunst, 1 Stunde wöchentl.

4, Ueber die äusseren Parasiten des Menschen und der Hausthiere,

1 Stunde wöchentlich.

5, Veterinär-Klinik, täglich 2 Stunden. ||

Ausserdem würdest du vorzugsweise noch das Verinar-Museum (anatomische und pathologische Präparate) zu pflegen und zu vermehren haben. Dasselbe ist jetzt recht gut im Stand. Professor Zürn hat sehr Viel dafür gethan. Dabei würdest du immer noch sehr viel Zeit für eigene Arbeiten, namentlich für Parasitologie übrig behalten. Dein Gehalt würde vorläufig wahrscheinlich 800 Thaler betragen, was bei der grossen Billigkeit von Jena gewiss so viel ist, wie 1000–2000 Thaler in Kopenhagen. Ich selbst habe bis zum vorigen Jahre nur 600 Thaler bezogen. Eine Familien-Wohnung kannst du hier für 100 Thaler ganz gut haben. Ein grosser Vortheil würde deine ganz selbständige Stellung hier sein. Wie angenehm es hier zu leben ist, habe ich dir oft erzählt. Gegenbaur hat kürzlich eine glänzende Berufung nach Strassburg ausgeschlagen, ebenso wie ich selbst vor einem Jahre nicht nach Wien gegangen bin. Der grösste Vortheil würde sein, dass du in das deutsche akademische Fahrwasser kämst und leicht auch zu einer grösseren Stelle von hier aus berufen werden könntest. Zürn war bis vor 5 Jahren einfacher Thierarzt. In die klinische Thätigkeit würdest du dich wohl rasch hineinarbeiten. In der Hoffnung, keine abschlägige Antwort von dir zu erhalten, und mit der Bitte, möglichst bald und recommandirt zu antworten, bleibe ich freundlichst grüssend,

Dein alter Freund Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
21.01.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
33120