Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Harald Krabbe, Jena, 1. November 1867

Jena, 1.November 1867

Mein lieber Krabbe!

Seit langer Zeit habe ich dir nicht geschrieben, obgleich ich deiner viel gedacht habe. Deine beiden Briefe, welche mich nach meiner Rückkehr von den canarischen Inseln antrafen, liess ich unbeantwortet, weil ich grade damals mit Arbeiten überhäuft war, und weil ich deinen Wunsch, von Gegenbaur Taenienammen aus Tiedemannia zu erhalten leider nicht befriedigen konnte. Gegenbaur besitzt nichts mehr von seiner Messineser Sammlung, und die wenigen Tiedemannien welche ich noch hier im zoologischen Museum habe, sind fast ganz schlecht geworden. Sie scheinen sich doch im Liquor conservaticus auf längere Zeit nicht zu halten.

Wenn du nächstes Jahr wieder nach Deutschland kömmst, versäume doch nicht, mich in Jena zu besuchen. Es ist möglich, dass du in unserer zoologischen Sammlung doch Mancherlei findest, was du für deine Arbeiten brauchen kannst. Es wird mich sehr freuen, wenn du in meiner neuen Häuslichkeit mich besuchst. Ich bin mit meiner jungen Frau sehr glücklich, nachdem ich drei traurige und trostlose Jahre seit meiner Anna Tode verlebt hatte. Am 20. August war unsere Hochzeit. Dann machten wir eine sehr hübsche Reise durch Tyrol und die Schweiz, 5 Wochen lang beim herrlichsten Wetter, mit nur 4 Regentagen.

Ich bin gegenwärtig mit Ausarbeitung der canarischen Arbeits-Materialien, vorzüglich Hydromedusen und Radiolarien, beschäftigt, welche sehr interessant sind. Mit meinen Vorlesungen geht es recht gut. Ich lese jetzt im Sommer allgemeine und im Winter specielle Zoologie, ausserdem Publica über Darwin. Mit Gegenbaur lebe ich fortwährend in angenehmstem Freundschafts-Verkehr; im Uebrigen lebe ich sehr zurückgezogen. ||

Focke schrieb mir neulich, dass er seine Stellung als Director des Bremer Krankenhauses aufgegeben hat; er ist glücklich verheirathet und hat eine Tochter. Er hat lange am Typhus gelegen.

Meine Eltern sind beide noch recht rüstig, trotzdem mein Vater schon 86, meine Mutter 68 Jahre alt ist. Mein armer Bruder hat seine Frau (die vortreffliche Schwester meiner Anna) im vorigen Herbste an der Cholera verloren, und ist nun allein mit 8 Kindern, von denen das kleinste erst 1½ Jahr ist.

Hoffentlich höre ich bald einmal wieder von dir, und zwar Gutes! Hast du denn noch gar keine Lust, zu heirathen?

Mit herzlichem Gruss

in alter Freundschaft

dein Haeckel.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
01.11.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
33114