Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Harald Krabbe, Berlin, 29. Mai 1860

(Berlin, 29.5.60)

Mein lieber Krabbe!

Herzlichsten Dank für deinen gestern erhaltenen a lieben Brief, den ich dir auch zur Vergeltung gleich beantworten will. Dass du im Sommer hier zu kommen gedenkst, hat mich sehr gefreut; nur bitte ich dich dann, es womöglich früher zu thun, als Mitte b Juli. Meine Eltern werden nämlich am 1. Juli auf 3 Monate verreisen und ich werde während dieser Zeit ebenfalls nicht in Berlin sein. Den ganzen Juli und August werde ich bei meinem Bruder in Freienwalde a. d. Oder zubringen und mein Werk über radiaere Rhizopoden daselbst ausarbeiten. Den September werde ich bei meiner Braut in Heringsdorf (bei Stettin an der Ostseeküste) sein. Wenn du mich also hier noch treffen willst, musst du noch im Juni kommen. Bitte aber dann, es mir mindestens 8 Tage vorher zu schreiben, damit ich einen kleinen Ausflug von 8 Tagen, den ich im Juni nach Thüringen (Jena) machen muss, danach einrichte. Wenn du aber erst im Juli kommen kannst, suche es doch so einzurichten, dass du mich in Freienwalde auf einige Tage besuchst. Du c wirst daselbst bei meinem Bruder, den du ja wohl schon kennst, sehr willkommen sein, und ich würde mich sehr darauf freuen, meine reichen, italischen Reiseerinnerungen dir mitzutheilen. Ich habe vor 8 Tagen einen sehr ausführlichen Circularbericht über meine italienische Reise an meine näheren Freunde abgeschickt, zunächst an Focke nach Bremen. Dieser wird ihn an einen meiner Vettern nach Holland (Haag) schicken, und von dort erhältst du ihn als Dritter. Ich bitte dich, ihn dann an den Dr. med. Reinhold Hein, praktischer Arzt in Danzig, weiter zu schicken. Da du durch diesen Briefd ein ausführliches Bild meiner herrlichen Reise erhalten wirst, will ich dir heut nur vorläufig kurz mittheilen, dass sie im Ganzen ausserordentlich glücklich abgelaufen ist. Nach einem einmonatlichen Aufenthalt in Rom blieb ich den ganzen Sommer in Neapel und Umgegend, machte im Herbst eine 5 wöchentliche Reise durch || Sicilien und blieb den Winter in Messina, wo ich das Glück hatte, über 100 neue Radiolarien Thalassicollen, Polycystinen u. Acanthometren,e zu entdecken und im Anschluss an Johannes Muellers letztes Werk f deren Organismus weiter zu ergründen. Am 28. Januar 1859 reiste ich von hier fort und am g 29. April 1860 kehrte ich nach 15 monatlicher Abwesenheit glücklichst zurück, nachdem h ich mich noch 3 Wochen in Paris aufgehalten hatte. Jetzt ruhe ich nun auf meinen Lorbeeren und werde noch ein Jahr hier bleiben, um meine Reise-Resultate zu verarbeiten. Ostern 1860 werde ich mich auf einer kleinen Universität habilitiren.

Von unsern Freunden ist jetzt niemand mehr hier und ich bin ganz allein. Martens ist auf 3 Jahre nach Japan, Hartmann auf ein halbes Jahr nach Abyhsinien. Nur Chamisso vegetirt hier noch als praktischer Arzt. Dass es dir auch gut gegangen ist, freut mich sehr und ich möchte sehr gerne bald etwas Näheres von dir hören. Doch möchte ich dich am liebsten natürlich selbst sehen und wurde es mich daher sehr freuen, wenn du noch im Juni hierher oder im Juli nach Freienwalde kommen könntest. Wenn du erst im Herbst, im Oktober, kämst, würde es insofern hübscher sein, als du dann euch meine Braut sehen würdest, die in 8 Tagen schon von hier fortreist. Ich wollte dir jetzt schon ein paar kleine Aufsätze über die plexus choroide u. über die Seestern-Augeni schicken, will aber nun lieber warten, bis du sie selbst holst. Schreib mir also recht bald, wie sich deine Reisepläne gestalten und ob ich hoffen darf, dich bald wieder zu sehen. Mit herzlichstem Gruss

Dein treuer, unveränderter, alter Freund

Ernst Haeckel.

Meine Eltern lassen dich schön grüssen und auch besonders einladen, bei uns zu wohnen, wenn du herkömmst.

a gestr.: lieben; b gestr.: Juli; c gestr.: wis; d gestr.: a; e handschriftlich eingef.: Thalassicollen, Polycystinen u. Acanthometren,; f gestr.: deren; g gestr.: 28; h gestr.: ic; i handschriftlich eingef.: plexus choroidei u. über die Seestern-Augen

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
29.05.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
33103