Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 5. Oktober 1912

Jena 5.10.12.

Liebster Freund!

Die Nachrichten, die ich heute von Dir u. Deiner lieben Frau erhielt, und für die ich bestens danke, haben mich sehr beruhigt. Ich hoffe, daß die Kur in Wiesbaden Dir gut bekommt, und Deine Gesundheit so weit kräftigt, daß du in einigen Wochen an einen südlichen Winter-Aufenthalt übersiedeln kannst. Ich halte es durchaus notwendig, daß du dem tristen Winterwetter in Schottland und dem aufregenden Geschäftssorgen in Glasgow diesen Winter fernbleibst, und in schöner Natur, unter den freundlichen Eindrücken eines milden See-Klima’s, procul negotiis, der Ruhe und Gesundheits-Pflege lebst. ||

Nachdem ich nochmals Alles reiflich überlegt habe, bleibe ich dabei, daß Teneriffa (mit vortreffliche deutschen u. englischen Hôtels in Puerto Orotava) für Dich das beste Genesungs-Asyl sein wird: Ideales Klima, herrliche subtropische Natur mit großartigen und mannichfaltigen Touren an der Seeküste und im Gebirge (Pik!). Ich konnte leider (1866) nur wenige Tage dort weilen, habe aber später gehört, daß es sich zu einem klimatischen Kurort I. Ranges entwickelt hat. Mein Schwiegersohn Hans Meyer, hat es (1896) vortrefflich beschrieben: ||

„Die Insel Tenerife, Wanderungen im kanarischen Hoch- u. Tiefland“ (Leipzig, Hirzel, 1896, – 330 Seiten). Hans wird Dir auch gern weiter Auskunft geben. Die Reise nach Teneriffa mit dem opulenten Süd-Amerika-Dampfer des Norddeutschen Lloyd (Bremen) ist an sich schon eine schöne Erholungs-Reise.

Indien, namentlich Ceylon, würde dir allerdings viel reichere und mannichfaltige neue Eindrücke bieten; aber das tropische Klima wird doch vielleicht für Dich zu angreifend sein. Meine Frau grüßt mit mir Dich und die Deinen herzlichst, und hofft mit mir, bald Besseres von Dir zu hören. ||

Ich bin die letzten Wochen (bei abscheulichstem naßkalten Herbstwetter) nicht aus der Stube gekommen. Die Gelenkschmerzen (Hüfte und Knie) hindern mich an Allem; die „Arthritis deformans senilis“ ist mit 78 Jahren irreparabel!

Treulichst Dein alter Ernst Haeckel.

P.S. in Wiesbaden lebt als praktischer Arzt Dr. Schubert, der mich 1900 auf der Fahrt nach Singapore (von Genua) freundlichst behandelte. Er lud mich auch vorm Jahr zur Kur in sein Sanatorium (mit Park) ein; ich mußte aber Baden-Baden vorziehen. Wenn Du ihn sehen solltest, bitte zu grüßen.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
05.10.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32948
ID
32948