Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 8. August 1905

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 8.8.1905.

Liebster Paulus!

Teuerster „Bruder im Herrn“!

Deinen liebenswürdigen und herzergreifenden Apostel-Brief aus Craigton (Fintry) würde ich gern in gleichem salbungsvollem und hochpoetischem Style erwiedern, wenn mein Humor nur einigermaßen lebensfähig wäre. Leider ist dies aber nicht der Fall; mein Stimmungs-Barometer ist in den letzten unerquicklichen Monaten so tief gesunken, wie seit langer Zeit nicht, und ich empfinde oft ganz buddhistische Sehnsucht nach dem endlichen „Nirwana“. ||

Seit der interessanten Pfingst Woche im „Böhmer Wald“ (von der ich Dir mündlich erzählen werde) – seit 20. Juni – bin ich nicht wieder in die frühere gute Verfassung gekommen.

Nicht allein der ungeschickte Fall (mit Verletzung des rechten Arms), sondern auch eine tüchtige Erkältung haben seitdem ihre bösen Folgen mich fühlen lassen. Erst mußte ich den Arm (der jetzt wieder in Stand ist) einige Wochen in der Binde tragen. Dann meldete sich mein alter Freund der Gelenk-Rheumatismus, diesmal mit Gicht complicirt! Nach einander befiel er rechte und linke Achilles-Sehne, Schleimbeutel, Sehnenscheiden etc; Schauderhaft! ||

Vor 8 Tagen mußte ich selbst a auf den Schluß der Vorlesungen verzichten. Jetzt hinke ich wieder im Zimmer umher und hoffe in 10–12 Tagen (frühestens 18.8.) nach Baden-Baden abreisen zu können. Ich hoffe sicher, daß die dortigen vorzüglichen Bäder (und schwedische Gymnastik!) den senilen Organismus noch einmal leidlich regeneriren werden. Auf alle Fälle hoffe ich dort mehrere Tage mit Dir zusammen zu sein; ich denke 3–4 Wochen dort zu bleiben. Eventuell könnte ich sogar vielleicht mit Dir noch einige kleine Touren machen (falls Alles gut geht!). ||

Für Deine gütige Absicht, meine alten Lenden noch mit einem edlen Stücke gewebten Zeuges zu bekleiden, danke ich Dir tiefgerührt! Es lohnt nicht mehr der Mühe! Solltest Du dennoch mir das Zeug senden, würde ich es hier durch meinen Leibschneider passend zurichten lassen.

Von Baden schreibe ich Dir Näheres; wahrscheinlich wohne ich (wie früher) im Hôtel de France. Ich freue mich sehr auf Deinen lieben Besuch!

Schwester Röschen grüßt mit mir herzlichst!

Stets Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

a gestr.: auf

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
08.08.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32846
ID
32846