Dodel-Port, Arnold

Arnold Dodel-Port an Ernst Haeckel, Zürich, 23. Februar 1885

Zürich, 23. Februar 1885.

Herrn Professor Dr. Ernst Haeckel in Jena.

Hochgeehrtester Herr College!

Sie hatten die Freundlichkeit, mir unter’m 8. Februar a.c. die in Ihrem Besitze befindlichen Original-Deublerbriefe zur Mitbenützung für das Deubler-Buch zu übersenden, wodurch Sie dem Werk einen eminenten Dienst erwiesen. Meinen herzlichsten Dank dafür! –

Ich habe nun diese Briefe, sowie die von Ihnen an Deubler gerichteten in chronologischer Folge mit nur unbedeutenden Abkürzungen für das Buch copirt, da ich finde, es sei dies die beste Art, das Verhältniß zwischen Ihnen & Deubler ins richtige Licht zu setzen. Es geht durch den ganzen 10-jährigen Briefwechsel ein herrlicher Zug reiner Menschlichkeit, und daran sollen wir möglichst wenig rühren. Die „orthographischen Ungeheuerlichkeiten u. stylistischen Schrecknisse“ – wie Deubler die Schattenseiten seiner Briefe zu nennen pflegte – habe ich selbstverständlich eliminirt, mich übrigens immer möglichst genau an das haltend, was er sagen wollte & so oft herrlich & gut gesagt hat.

An Ihren Briefen habe ich selbstverständlich Nichts geändert. Da ich Ihnen aber, wie billig, versprochen habe, von der Bearbeitung dieses Theiles der Deubler-Biographie vor der Publikation Einsicht zu geben, damit Sie eventuell selbst dort streichen oder corrigiren, wo Sie es für passend finden; da ich dies aber nicht bis zu der Zeit der Druckbogen-Correctur versparen will, weil dann unliebsame Verzögerungen in der Publication eintreten müßten: so finde ich es am passendsten, Ihnen den ganzen im Manuskript nun vorliegenden Briefwechsel zwischen Ihnen & Deubler hier zur vorherigen Durchlesung, respective Correctur vorzulegen. Ich glaube zwar nicht, daß Sie da Vieles auszustreichen oder zu corrigiren finden werden; es können wohl nur zwei Punkte ernstlich in Frage kommen:

1.) Die briefliche Abwandlung des Preßmammelukken Dr. Karl Grün, der sich nach glaubwürdigen Mittheilungen von verschiedenster Seite als Revolver-Journalist an Deubler ergehen [!] wollte.

2.) Die Frage der Berliner Herren Virchow, Dubois-Reymond u. s. w. in Sachen der Opposition gegen Darwinismus & Haeckelismus (Humboldt-Stipendium).

Beide Fragen werfen aber prächtige Schlaglichter auf den zerfahrenen Zustand unserer Neuzeit & Gegenwart. Wenn es anginge, so sollte man hierbei erst recht Nichts unterdrücken; doch verfügen Sie, nicht ich. || Ich bitte Sie also inständig, wenn Ihnen irgend möglich ist, diese 26 Manuscript-Seiten im Verlauf der nächsten 10 Tage (corrigirend, eventuell streichend) zu durchgehen, vielleicht bildet dies für Sie eine nicht gerade unangenehme Lectüre, die wohl im Kreise der Ihrigen eine Vorleser finden & allgemeine Unterhaltung bringen könnte. Sind Sie mit dieser Durchsicht fertig, so wollen Sie mir gütigst das Manuscript wieder zusenden, sei es als Paquet oder recommandirte Briefsendung. In wenigen Wochen wird das ganze Buch im Manuskript vollendet sein & dann sofort nach Wien abgehen, woselbst sich bereits zwei renommirte Verlags-Firmen für das Buch interessiren. Ich hoffe, daß noch im kommenden April mit dem Druck begonnen und dann das Buch im August erscheinen kann. Es gibt sehr viele, nach Hunderten zählende Freunde des Fortschrittes, welche von dem Unternehmen Kenntniß haben & mit Spannung das Erscheinen des Buches abwarten. Also jede Verzögerung würdea neuer [!] Ungeduld rufen [!]. – Ich selbst bin froh, wenn ich den letzten Federzug geführt haben werde; da ich bereits seit Anfang August fast all meine freie Zeit auf diese Arbeit verwendete und nun neue Aufgaben meiner harren.

Sie waren so freundlich, mir gleichzeitig mit den Deublerbriefen unter +band einige Broschüren („Eisenacher Rede“ u. „Adams-Pik“) zuzusenden und meiner lieben Frau 1 Exemplar der Schrift: „Entstehung und Stammbaum des Menschengeschlechtes“ zu widmen. Diese Aufmerksamkeit hat uns wahrhaft Freude gemacht und wir Beide, meine Frau & ich, verdanken die Sendung herzlichst. Vielleicht habe ich bald Gelegenheit, Ihnen eine kleine Gegenleistung zu bieten, da ich eben jetzt auch mit Fragen beschäftigt bin, welche die Zoologen nicht minder interessiren dürften, als die Botaniker u. über welche gegenwärtig 2 Aufsätze (mit Illustrationen) unter der Presse liegen.

Daß ich unentwegt in Verehrung & ungetheilter Hochachtung stets zu Ihnen gestanden habe, dessen dürften Sie ohnehin überzeugt sein. Es war ja nicht anders möglich, selbst dann nicht, wenn unsere Ansichten in kleineren Dingen auseinandergingen. Freilich, in der Anwendung der Selections-Theorie auf die weitere Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wird allezeit Uneinigkeit herrschen. Als Virchow in München das Gespenst der Social-Demokratie an die Wand malte, da war es für die Herren Reactionäre zu spät, dem breiten Strom der aufklärenden Zuchtwahllehre hindernd in den Weg zu treten: je mehr die „Gebildeten“ der naturwissenschaftlichen Aufklärung Feind werden, desto mehr gewinnt diese Aufklärung unten im „ungebildeten“ – aber – denkenden Volk an Freunden. Jene Ersteren – die „Gebildeten“ enterben sich selbst (in geistiger Beziehung), während die materiell-Enterbten der verschmähten geistigen Erbschaft sich bemächtigen. Und das ist recht! Nur in der flüssigen, schaffenden, thätigen & denkenden Masse des Volkes kann unser Ringen & Kämpfen um die höchsten geistigen Güter von Erfolg gekrönt werden. Aus den untern Regionen kommen auch die besten Pioniere, weil eben dort die Auslese eine größere ist als oben unter den 10,000 Bevorzugten. Doch hierüber gelegentlich ein ander Mal mehr.

Mit den besten Grüßen von meiner Frau, die Ihnen noch speciell für die dedicirte Schrift danken läßt – und denen ich die meinigen anfüge

Ihr Dodel-Port.

a korr. aus: wird

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
23.02.1885
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3243
ID
3243