Ernst Haeckel an Wilhelm Engelmann, Jena, 5. Januar 1893
VILLA HAECKEL
JENA, DEN 5. Jan. 1893
Lieber Freund!
Für Deinen heute erhaltenen Neujahrsgruß und die schöne Abhandlung „über den Ursprung der Muskelkraft“ danke ich Dir bestens. Letztere hat mich – wie alle „Ursprungsfragen“ – sehr interessirt und ich habe a ihren „monistischen Inhalt, (– soweit es mein schwacher physikalischer Absorptions-Coefficient gestattet! –) in meine mechanische Weltordnung aufzunehmen versucht. ||
Meine Altenburger Rede (über Monismus) habe ich Dir nach Utrecht gesandt, da ich nicht wußte, ob Du nach Leipzig kämst. Für aufrichtige Mittheilung kritischer Bedenken gegen verschiedene schwache Punkte derselben würde ich Dir sehr dankbar sein, da ich bald eine neue Auflage vorbereite.
Da ich vermuthe, daß Deine liebe Frau, meine theure Adoptiv-Tochter, mit in Leipzig ist, bitte ich ihr meine herzlichsten Grüße und beste Wünsche für 1893 zu bestellen. ||
Sehr gern würde ich Euch bitten, Euren Rückweg über Jena zu nehmen, wenn nicht einerseits die sibirischen Winter Verhältnisse (– gestern – 20°! –) wenig einladend wären, und anderseits ich gerade jetzt mit Arbeiten sehr überhäuft wäre. Ich will nämlich schon Ende Januar nach Sicilien und Tunis gehen, um mehrere Monate lebendes Plankton zu studiren.
Um so sicherer hoffe ich, daß Ihr endlich im nächsten Sommer Euren lieben und längst erwarteten Besuch in Jena ausführt. ||
Im Juni war ich ein paar Tage in Leipzig bei meiner Tochter, und hatte die Absicht Deiner lieben Mutter u. Schwester, sowie unseren Collegen (Credner, Wislicenus, Ratzel) einen Besuch abzustatten. Aber der colossale Familien-Kreis Meyer etc ließ mich zu keinen weiteren Besuchen kommen.
Mit besten Grüßen, und mit einem ehrfurchtsvollen Handkuß für Deine liebe Frau
Dein alter
Ernst Haeckel
a gestr.: mir