Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Engelmann, Jena, 24. Oktober 1890

Jena | 24. Octobr. 1890.

Lieber Freund!

Nachdem die erste Hochfluth der massenhaften Schreiberei, die mich nach 9 wöchentlicher Abwesenheit von Jena hier empfing, vorüber ist, soll es meine erste Pflicht sein, Dir und Deiner lieben Frau meinen herzlichsten Dank zu wiederholen, für den überaus liebenswürdigen Empfang in Eurem stattlichen Palazzo, und die geselligen Freuden des herrlichen Tages, den ich bei Euch in Utrecht verleben konnte. || Nachdem ich in Eurem lieben Adoptiv-Vaterlande 14 Tage in den Schätzen der Niederländischen Kunst geschwelgt, und bei der glänzenden Swammerdam-Saecular-Feier über die Maaßen geehrt worden war, konnte mir kein schönerer Abschluß dieser unvergeßlichen Fahrt werden, als der reizende 16. October bei Euch in Utrecht! Wenn Du mich dabei als „Sohn der Sonne“ feiertest und mit meinen „Sonnenthierchen“ in Verbindung brachtest, so hast Du dabei nur vergessen, daß der mich umstrahlende Glanz nicht mir gehörte, sondern der Abglanz von der unvergleichlichen „Sonne des Hauses“ war, die zu besitzen Du das beneidenswerthe Glück hast! || Wie oft habe ich in diesen Tagen bedauert, daß Ihr nicht vor 2 Jahren von Utrecht nach Jena übergesiedelt seid! Freilich muß ich selbst hinzufügen, daß diese Metamorphose in vieler Beziehung eine regressive gewesen wäre: „Vom Pferd auf den Esel“! – Denn Vieles ist hier leider recht „eselhaft“, und ich werde einige Wochen brauchen, um mich wieder den engen Verhältnissen von Jena anzupassen. Dazu wird vor Allem die neue Aufl. der Anthropogenie helfen, auf die ich mich nun mit dem Reste meiner noch übrigen Energie werfen werde!

– Beifolgend sende ich Dir die versprochenen Phaeodarien, nebst einigen Beischlüssen, die ich beliebig zu vertheilen bitte, falls Du bereits in deren Besitz sein solltest. Die Lectüre wird dabei nicht beansprucht! || Solltest Du noch Etwas von meinen übrigen Producten wünschen, das ich Dir noch nicht geschickt habe, so bitte ich nur, Deine Wünsche zu äußern; soweit möglich, werde ich sie mit Vergnügen erfüllen!

– Deinen Utrechter Collegen, die kennen zu lernen mir sehr angenehm war – insbesondere Rosenberg und Wiegmann – bitte ich meinen freundlichen Gruß zu bestellen.

– Der berühmte „blaue Fleck“ (Collision der Schrankecke und des Oberschenkels) hat bereits den größten Theil des Spectrum durchlaufen (Violett, Ultramarin, Kobalt, Saftgrün, Olivengrün, Gelbgrün) befindet sich jetzt im gelben Stadium und wird nächstens durch Orange in Fleischroth übergehen! – Mit wiederholtem bestem Dank und freundlichsten Grüßen

Dein treuer alter Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.10.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK
Signatur
Slg. Darmstaedter, Lc 1875: Haeckel, Ernst
ID
32419