Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Herman George Scheffauer, Jena, 28. August 1912

Jena, 28.8.1912.

(An Goethes Geburtstage).

Lieber Herr Scheffauer!

Über Ihre glückliche Verheiratung mit Ethel Talbot, der rühmlichst bekannten Englischen Dichterin, habe ich mich aufrichtig gefreut! Wenn Ihre Frau Gemahlin (was ich sicher glaube!) von Mutter Natur ebenso reich mit geistigen und körperlichen Vorzügen ausgestattet ist, wie Sie selbst, ist bestimmt zu hoffen, dass der Stammbaum Ihres Geschlechts die edelsten Früchte tragen und zur höheren Entwicklung der Germanischen Rasse viel beitragen wird! Ich würde mich freuen, ein Photo-Bild von Ihrer lieben Frau neben das schöne Porträt, das ich von Ihnen besitze, stellen zu können.

Ich hätte Ihnen meinen herzlichen Glückwünsch früher gesandt (– auch den Dank für die interessante Lourdes-Karte –), wenn meine Gesundheit besser gewesen wäre. Leider geht diese aber immer mehr bergab. Die Folgen des schweren Unfalls (vor 10 Monaten) sind mit 78 Jahren – nicht mehr zu heben. Ich kann nur wenige Schritte mit Schmerzen mühsam gehen. Auch kann ich nicht mehr ernstlich arbeiten. Ich beschäftige mich nur noch mit meinen Memoiren, und Sammlung der Documente zu „Geschichte der Entwicklungslehre“, diese werden einen wertvollen Teil meiner Phyletischen Arbeit bilden, für welche kürzlich ein alter Freund 36.000 Mk gestiftet hat.

Auf Ihre Mitteilungen über Lourdes bin ich sehr gespannt. Noch ein naher Freund von mir hat kürzlich diesen grossen Schwindel dort gründlich studiert. Dr. med. Aigner (München, Bavaria Ring). Seine Enthüllungen werden dem Klerus nicht erfreulich sein.

Das Buch von James Weir: „The Energy System of Matter“ habe ich mit Interesse gelesen. Es erscheinen jetzt viele ähnliche Werke über phylosophische Physik – zum grossen Teile in in wichtigen Punkten direkt widersprechend – (wie die moderne „Relativitäts-Theorie“ von Einstein, in dem mathematischen Aufbau grossartig, aber in den Prämissen falsch! –) Auf dem II. Internationalen Monisten Kongress in Magdeburg (6.–10. Sept.) werden Ostwald u. A. über diese „Energetik“ der Substanzlehre sprechen.

Das Phyletische Museum ist am 21. Mai von meinem Amtsnachfolger Prof. Plate eröffnet worden; es wird viel besucht und wird dem grossen Publikum das Verständnis der Entwicklungslehre fördern. Am Eingang steht die Statue der „Wahrheit“, und im Hauptsaal (Primaten) der Riesen-Gorilla; von Beiden sende ich Ihnen beifolgende Postkarten. Näheres finden Sie in der Leipziger Illustrierten Zeitung (21. Mai, Artikel von Dr. Hase) In beifolgender kleiner Sammlung „Natur und Mensch“ wird Sie vielleicht Nr. V und VI interessieren.

Mit herzlichen Grüssen und besten Wünschen für Sie und für Ihre liebe Frau

treulichst Ihr alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
28.08.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 31764
ID
31764