Conrad Keller an Ernst Häckel, Zürich, 16. Februar 1875
Zürich, dℓ. 16. Febr. 1875
Hochverehrter Herr Professor!
Sie waren so gütig, mir in Ihrem verehrten Brief die gewünschte Auskunft zu geben u. ich danke Ihnen herzlich dafür. Es thut mir fast leid, Sie noch einmal bemühen zu müssen. Aber ich weiß, daß man sich in Zeiten der Noth offen und zutrauensvoll an sie wenden darf.
Um was ich Sie bitte ist ein kurzes Urtheil über meine Dissertation (Beiträge zur Anatomie der Cephalopoden), da mir Ihr Urtheil momentan von unendlichem Werth wäre.
Zur Motivirung meiner sonderbaren Bitte theile ich Ihnen folgendes mit:
Als ich mich an der Universität habilitirte, empfahl Prof. Frey mein Gesuch mit zwei Zeilen. Nunmehr habe ich mein Gesuch um Erteilung der venia docendi auch am eidsgenössischen Polytechnikum || dem schweizerischen Schulrathe eingereicht. Derselbe holt zwei Gutachten ein, eines davon von Prof. Frey.
Durch eine Indiscretion des zweiten Begutachters, eine der bedeutendsten hiesigen Autoritäten, weiß ich den Inhalt u. bin noch rechtzeitig von einer infamen Intrigue gewarnt u. unterrichtet. Frey gibt ein langes u. ausführliches Gutachten ab in einer Weise, daß ich in Zukunft auf jede Schlechtigkeit von Seiten Frey’s gefaßt sein muß. Einmala ist Frey innerlich wüthend über meine gehaltene Habilitationsrede, obschon er im Schooße der Facultät dieselbeb als sehr gelungen bezeichnet hat. Ueber diese berichtet er dem schweizerischen Schulrath auf ganz niederträchtige Weise. Noch mehr fällt er über meine letzte Arbeit (über Cephalopoden) her in einer Weise, die ich für unmöglich gehalten. Derselbe Frey, der sich wiederholt in günstigster Weise darüber ausgesprochen und mich wiederholt u. förmlich bitten ließ, diese Arbeit als Promotionsschrift der Facultät Zürich einzureichen, derselbe Frey, dem ich brieflich u. durch || hochstehende in Zürich lebende Personen den Beweis liefern kann, daß er beim Decan der philosophischen Facultät beantragte, mich gratis zu promoviren, u. dies durch die Qualität meiner Arbeit motivirte – derselbe Frey qualifiziert jetzt die gleiche Arbeit in seinem Gutachten als eine „miserable Schülerarbeit“!
Hochverehrter Herr Professor! Ich glaube hier gebührt unserm Zürcher Zoologen höchstens noch eine psychiatrische Aufmerksamkeit u. Sie werden meine Bitte begreifen. So kann es denn doch unmöglich gehen u. ich habe das größte Interesse, mich von einem solchen Menschen nicht so in den Augen der obersten schweizerischen Schulbehörde compromittiren zu lassen. Ich lasse zwar andere handelnc. Der zweite Begutachter hat mich um zwei competente Urtheile über meine Arbeit gebeten, um ohne daß Frey eine Ahnung hat, mit einem Schlage dessen Intriguen zu vernichten. Ein zweites schriftliches Urtheil wird mir Herr Prof. Eberth geben, der sich meiner mit großer Zuvorkommenheit angenommen hat. ||
Ich für meinen Theil habe unter großen äußern Schwierigkeiten, wo es etwelcher Energie bedurfte, meine Studien aufnehmen müssen u. bezeuge einstweilen jetzt noch keine Lust, wo ich am Schluße meiner Studien stehe, ein Opfer der Schlechtigkeit zu werden. Auch gibt es hier Solche genug, welche meine Interessen aufs Nachdrücklichste unterstützen werden.
Ich schließe mit herzlichem Danke für Ihre Mühe u. verbleibe mit hochachtungsvollstem Gruße
Verehrungsvollst
Ihr ergebener
C. Keller
a korr. aus: Einmals; b eingef.: dieselbe; c korr. aus: handelt