Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 15. Februar 1910

München d. 15. Februar 1910.

Hochverehrter lieber Freund!

Morgen ist Ihr Geburtstag. Das ist mir eine willkommene Gelegenheit Ihnen einmal wieder zu schreiben, nachdem ich so lange nichts von mir habe hören lassen. Mir ist es dieses Mal ein besonderes Bedürfniß Ihnen für das kommende Lebensjahr alles Gute zu wünschen. Das verflossene Jahr hat Ihnen viel Verdruß gebracht. Möge das neue durch Glück und Freude wie-||der gut machen, was das verflossene gesündigt hat. Und noch einen Wunsch möchte ich aussprechen, daß wir irgendwo und irgendwann in diesem Jahr uns wiedersehen mögen. Sie sind ja jetzt in der glücklichen Lage, das Otium cum dignitate voll zu genießen und Herr Ihrer Zeit zu sein. Wird Sie da Ihre alte Liebe für das bayrische Gebirge nicht in unsere Gegend führen, so daß wir uns sei es in München oder irgend einem anderen schönen Ort Bayerns oder des Salzkammerguts treffen könnten, eventuell ich Sie daselbst besuchen? || Im vorigen Jahr bin ich mit meiner Familie zum ersten Mal im Salzkammergut gewesen. Ich hatte in Salzburg einen Vortragzyklus über Vererbung gehalten, um das kümmerlich vegetirende Unternehmen der Hochschulkurse zu unterstützen. Von Salzburg aus haben wir den Wolfgangsee und Schafberg, den wunderbaren Hallstätter See, Gosau See, weiter Gastein und Zell am See besucht. Wir waren merkwürdig vom Wetter begünstigt und haben die Tage in vollen Zügen genossen. Meine Schwiegermutter war mit von der Partie. Von der engeren Familie fehlte || nur Otto, der als Artillerist das Kaisermanöver mitmachen mußte.

Sie werden wohl vom Tode der Frau v. Baeyer gehört haben; sie starb an den Folgen einer Operation, ina welche der Würzburger Chirurg als ein letztes Mittel, das Leben vielleicht zu retten eingewilligt hatte, während die Münchener Chirurgen es als aussichtslos ablehnten. Baeyer hat den Unglücksschlag mit merkwürdigem Gleichmuth ertragen; er ist in seinem Laboratorium unausgesetzt thätig, hält pünktlich seine Vorlesungen und ist geistig eher frischer als im verflossenen Jahr.

Herzlichste Grüße auch von meiner Frau, desgleichen an Ihre Frau Gemahlin.

In alter Anhänglichkeit

Ihr treu ergebener

R. Hertwig.

a eingef.: in

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.02.1910
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30527
ID
30527