Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 16. Februar 1908

München d. 16. Februar 1908.

Hochverehrter lieber Freund!

Ich muß mich schämen, daß ich trotz der besten Absichten Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Meine Abneigung Briefe zu schreiben hat sich in den letzten Monaten enorm gesteigert, nicht zum wenigsten unter dem Einfluß der Depression, welche eine Folge der furchtbaren Aufregungen des Sommers ista, unter welcher mein Nervensystem noch immer leidet. Heute an Ihrem Geburtstag sollen die herzlichen Glückwünsche, die ich Ihnen || schon zum Jahreswechsel habe senden wollen, Ihnen die treue Anhänglichkeit Ihres alten Schülers zum Ausdruck bringen.

Eine rechte Freude war es mir daß Leo Schultze endlich eine feste Stellung errungen hat, wenn ihn dieselbe auch aus der Zoologie herausgeführt hat. Bei seinem Vortrag im Pettenkofer Haus Vereinb vor Weihnachten habe ich mich wieder auf’s neue überzeugen können, was er für ein ausgezeichneter Dozent ist. Auch der junge Chambers der jetzt in München studirt, resp seine Studien durch das Doctor Examen abschließen will und der ja auch längere Zeit in Jena studirt hat, schwärmte || mir sehr von Schultze’s großem Lehrtalent.

Meinem Walther geht es ganz ordentlich. Er hat seine Studien wieder begonnen, kann auch Geselligkeit mitmachen. Die Wunde ist bis auf einen sehr engen Fistelcanal geschlossen. Letzterer unterhält noch etwas Eiterung, welche wahrscheinlich durch Reste sclerotischer Knochensplitter bedingt ist. Die Ärzte legen der Sache keine große Bedeutung bei. Die alte geistige Energie und Elasticität hat Waltherc freilich noch nicht wieder, was mich zunehmend schmerzlich berührt, wohl aber nicht so ernst genommen werden sollte. Man kann ja nicht innerhalb eines so kurzen Zeitraumes eine völlige Ausheilung sod schwerer Hirnschädigungen, wie || sie vorgelegen haben, erwarten.

In den Osterferien gedenke ich der mir dringend nöthigen Erholung halber auf 4 Wochen nach dem Süden gehen. Ich werde mit Goebel eine Reise nach Spanien machen.

Auf die Feierlichkeiten in Jena freue ich mich sehr. Ich will die Gelegenheit benutzen, um auch meiner Frau die für mich so erinnerungsreiche Stadt und Gegend zu zeigen. Seit Ihrem 60. Geburtstag bin ich nicht wieder in Jena gewesen. Da wird sich viel verändert haben.

Ihnen und Ihrer lieben Frau sendet zugleich auch im Namen meiner Frau

herzlichste Grüße

Ihr treu ergebener

R. Hertwig

a korr. aus: war; b korr. aus: verein; c korr. aus: walther; d korr. aus: sehr

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.02.1908
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30523
ID
30523