Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 30. Dezember 1904

PROFESSOR RICHARD HERTWIG

MÜNCHEN,

SCHACKSTRASSE 2/3

d. 30.a December 1904.

Hochverehrter lieber Freund!

Das Jahr 1904, welches Ihnen zu Ihrem 70. Geburtstag so viele reich verdiente Zeichen von Liebe und Verehrung gebracht hat, soll nicht zu Ende gehn ohne Ihnen zu versichern, daß in München einer Ihrer Schüler an Sie denkt, welcher im Schreiben und Sprechen recht lakonisch geworden ist, sich aber in treuer Anhänglichkeit an seinen Lehrer nicht verändert hat. Es liegt ja in der Natur der Dinge, daß mit zunehmendem Alter der Einzelne sich mehr und mehr isolirt und seine eigenen Pfade wandert. Aber Liebe und Dankbarkeit bleiben immer || jung, wenn sie in dauernder Verehrung wurzeln zumal wenn sich dazu das Bewußtsein gesellt gemeinsamer Grundanschauungen in allen großen Lebensfragen.

Wie werden Sie in das neue Jahr hineintreten? Ich hoffe und wünsche in der unverwüstlichen Jugendlichkeit, um die ich Sie um so mehr beneide, je mehr ich als der um 16 Jahr jüngere sie mir wünsche. Es ist nicht gut, wenn man gar zu sehr von des Gedankens Blässe angekränkelt ist.

Vielleicht haben Sie schon erfahren, daß wir uns ein kleines Haus im oberen Isarthal, Loisach und Isar zusammenfließen, im Herbst gebaut haben. Richtiger gesagt meine || Frau ist Haus- und Grundstückbesitzerin auf der „Spatzenleite“ in „Schlederlohe“ geworden. Auf der Karte werden Sie diese Orte nicht verzeichnet finden. Sie liegen nahe bei Wolfratshausen auf dem hohen Flußgelände, von dem man weit über den Thalgrund nach dem Gebirge ausschaut. Meine Frau schickt Ihnen anbei eine Photographie des Hauses. Inzwischen hat es sich verschönt, indem all die nackten Balkonköpfe breite Balkons tragen, so wie es im Isarthal, besonders in Tölz Stiel ist. Wir haben 8 Zimmer, darunter auch ein Fremdenzimmer, dem hoffentlich recht bald die Ehre Ihres Besuchs zu Theil wird. Vor dem Starnberger See hat die Gegend den || Vorzug kräftiger Gebirgsluft und größerer Ursprünglichkeit. An Schönheit kann sie mit ihm concurriren.

Wahrscheinlich werden Sie gestern auch die traurige Nachricht von dem Tode des jungen Fürbringer’s erhalten haben. Er hatte ein Jahr in München studirt und auch vor 13 Monaten hier promovirt. Er war von einem eisernen Fleiß, ich fürchte, zu fleißig für seine schwache Gesundheit. Sein Verlust, wie das Herzeleid der armen, ihres einzigen Sohn’s beraubten Eltern gehen mir sehr nah.

Von meiner Familie kann ich nur Gutes berichten. Meine Frau hat seit 10 Jahrena noch keinen so guten Winter gehabt, wie den jetzigen; die Kinder sind körperlich und geistig frisch und gesund. Trotz der Segnungen eines bayrischen Gymnasiums sehen sie nicht wie Stubenhocker aus und sind es auch nicht. Walther ist nach wie vor Fanatiker für Physik und Chemie.

Zum Schluß sende ich Ihnen und Ihrer lieben Frau zugleich auch im Namen meiner Frau ein herzliches Prosit Neujahr! Ihr treu ergebener

Richard Hertwigc

a korr. aus: 20.; b gestr.: sich, eingef.: seit 10 Jahren; c Text weiter am oberen Rand von S. 4: Zum Schluß … Richard Hertwig

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.12.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30512
ID
30512