Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 12. November 1899

München d. 12. November 1899.

Hochverehrter u. lieber Freund!

Anbei übersende ich Ihnen die Sammlung von Fischschuppen, ob Sie etwas für Ihre Zwecke gebrauchen können. Wenn Sie die Sachen benutzt haben, bitte ich um freundliche Rücksendung.

Inzwischen ist mir das IV. Heft Ihrer Kunstformen zugesandt worden. Vielen Dank für das schöne Werk, dessen Tafeln ich schon habe bewundern können, als Sie in München waren.

Ihre Anwesenheit hier ist für mich und meine Frau ein wahrer Lichtblick gewesen. || Wenn ich an den Abend denke, an welchem Sie bei uns waren, erinnere ich mich immer wieder mit herzlicher Freude der jugendlichen Frische, mit welcher Sie uns Jüngere, wie wir auch da waren, übertrafen. Wie ganz anders als vor 1 Jahr auf der Isle of Wight, wo mir Ihre gedrückte Stimmung die so gar nicht zu Ihrem Wesen passte, auffiel.

Bei Lenbach bin ich noch nicht gewesen, doch will ich in den nächsten Tagen einmal hingehen, um mir Ihr Bild anzusehen. Ich leide jetzt unter der Bürde des Decanats welches besonders am Anfang des Semesters || viel Zeit beansprucht. Auch sonst habe ich im Wintersemester viel zu thun. Im Institut arbeiten 17 ganztägige Praktikanten, die mir viel Arbeit machen, zumal ich nur einen Assistenten habe. Dazu kommen Zittel’s Baupläne, welche a mir Zeit rauben, da Zittel zur Besprechung derselben oft zu mir kommt, auch eine Stunden lang dauernde Conferenz aller Conservatoren ihretwegen schon gehalten hat. Da soll ich nun mithelfen, mit vieler Arbeit mir meine angenehme Stellung zu verschlechtern! Eine wenig erfreuliche Situation! Im Allgemeinen herrscht übrigens die Ansicht, daß Alles beim || Alten und die schönen Projecte Projecte bleiben werden.

Heute führte mich eine besondere Veranlassung zum Studium der Fleischmann’schen Zoologie. Ist das ein geringes Buch! Ganz abgesehen von seiner Stellung zur Descendenztheorie! Welch ein Durcheinander ist doch der allgemeine Theil! Wenn man die Phrasen abstreicht, schrumpft die Seitenzahl brauchbaren Inhaltsb auf ein Minimum zusammen. Wie muß es im Kopf eines Studirenden aussehen, wenn er aus einem solchen Buch seine Weisheit schöpft!

Meine Frau grüßt Sie und die Ihrigen herzlichst, desgleichen

Ihr in treuer Anhänglichkeit

ergebener

Richard Hertwig.

a gestr.: auch; b eingef.: brauchbaren Inhalts

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.11.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30496
ID
30496