Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Berlin, 8. November 1891
Berlin. W.
Maassenstr. 34.
8.XI.91.
Lieber Freund u. College!
Gestern habe ich durch Engelmann’s Verlag die neue Auflage Ihrer Anthropogenie erhalten, für deren freundliche Zusendung ich Ihnen besten Dank ausspreche, zugleich auch meinen Glückwunsch, dass Sie ein so umfangreiches Werk in kurzer Zeit wieder zum Abschluss gebracht haben. Wie ich bei der || allerdings nur flüchtigen Durchsicht der zwei Bände gesehen habe, haben Sie vielen Kapiteln eine neue Fassung gegeben, den Fortschritten der Entwicklungslehre entsprechend. In den nächsten Wochen werde ich mich noch öfters und eingehender mit Ihrer Anthropogenie beschäftigen.
Mein Institutsneubau ist in diesem Herbst zu guter Zeit unter Dach gekommen. Es ist ein sehr stattlicher Bau mit schönen Räumlichkeiten, die für ihren || Zwecke, so lange ich lebe, schon genügen werden. In einem Jahre wird das neue Institut eingerichtet und bezogen sein.
Im August u. September war ich erst mit meiner Familie an der Ostsee in Misdroy und bin dann im September noch 2 Wochen allein nach Tyrol gereist, wo ich mich besonders in Gossensass und Mendel bei Bozen aufgehalten habe. Richard war noch zu sehr mit seinem Lehrbuch beschäftigt, a dass ihm die Lust fehlte, mich auf der Reise zu begleiten. || Bei der Rückkehr nach Berlin hatte ich wieder einige Wochen Lazareth im Hause. Unser kleiner Günther bekam 2 Tage nach seiner Heimreise von Misdroy Scharlach, welcher glücklicher Weise leicht und ohne Complicationen verlaufen ist. Das Töchterchen gaben wir für die Zeit der Schwiegermutter in Pflege und haben sie erst gestern wieder in unsere Wohnung zurückgenommen.
Mit dem Wunsche, dass es in Ihrer Familie gut geht, bleibe ich mit herzlichem Gruss von mirb und meiner Frau an Sie und die Ihrigen
Ihr ergebener
Oscar Hertwig.
Schönen Gruss an Stahl u. Fürbringer.
a gestr.: also; b eingef.: mir