Hertwig, Oscar

Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Bonn, 20. Juli 1872

Bonn, d. 20sten Juli 1872.

Hochgeehrter Herr Professor!

Mit großem Vergnügen ergreife ich die Feder, um Ihnen Nachricht von uns zu geben. Viel Angenehmes ist uns in der letzten Woche wiederfahren. Vorigen Mittwoch haben wir beide das Rigorosum mit magna cum laude bestanden. Wir hatten uns in allen Fächern tüchtig vorbereitet und blieben daher auch wenig Antworten schuldig. Mit der Promotion müssen wir noch einige Wochen warten, da die Ausarbeitung und der Druck unserer Dissertationen noch Zeit in Anspruch nimmt. Die Arbeiten werden beide dann auch im Schultzeschen || Archiv erscheinen.

Vorigen Freitag lud uns Prof. Schultze zum Kaffee zu sich ein, da er mit uns Etwas zu besprechen hätte. Bei seiner Berufung nach Leipzig hatte Prof. Schultze mit zur Bedingung seines Bleibens die Bewilligung einer Assistentenstelle gemacht. Dieselbe ist mit 400 Thaler jährlichen Gehalt dotirt und außerdem noch mit einer Amtswohnung im neuen Institute ausgestattet. Schultze eröffnete uns, daß er einen von uns zu dieser Stelle ausersehen hätte und machte uns gleichzeitig ein sehr liebenswürdiger Weise auch den Vorschlag, daß wir gemeinsam den Posten abwechselnd versehen könnten, so lange uns dies || behagte. Er für seine Person könnte keinem von uns den Vorzug geben. Wir haben vorläufig sein Anerbieten in der letzten Form dankend angenommen, da für das nächste Semester ein Einzelner mit dem Staatsexamen beschäftigt doch nicht alle Pflichten allein würde erfüllen können. Sie können sich denken, verehrter Lehrer, wie groß unsre Überraschung und wir groß unsre Freude war, mit Übernehmung dieses Amtes zugleich auch den ersten Schritt zur academischen Laufbahn gethan zu haben.

Nach dem, wie Prof. Schultze unsre Verpflichtungen formulirt hat, wird unsre Stellung aller Voraussicht nach eine sehr an-||genehme werden. Wir sind seine Privatassistenten, dem Prof. v. La Valette nicht untergeordnet. Wir sollen vornehmlich die a histologischen Arbeiten der Privatschüler überwachen. Im Winter haben wir von 2–4 Uhr den Präprirsaal zu beaufsichtigenb. Präparate für die Vorlesungen brauchen wir nicht mit anzufertigen, da hierfür Prof. v. La Valette mit zwei Famuli, Studenten in jüngeren Semestern, sorgen muß. Ebenso braucht uns die anatomische Sammlung wenig, für die ein besonderer Conservator angestellt ist. Für eigene Arbeiten werden wir daher wahrscheinlich viel Zeit und Muße behalten. Anfang Oktober wird die neue Anatomie bezogen werden.

Herzlich grüßt Sie und Ihre werthe Familie

Ihr treu ergebener

Oscar Hertwig.

Dem Herrn Prof. Gegenbaur bitte ich Sie von uns beiden freundlichst zu grüßen.

a gestr.: A; b korr. aus: überwachen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.07.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30368
ID
30368