Hertwig, Oscar

Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Bonn, 9. Mai 1871

Bonn, d. 9ten Mai 1871.

Hochverehrter Herr Professor!

Empfangen Sie brieflich noch einmal unseren und unserer Eltern warm gefühlten Dank für die vielen Zeichen von Theilnahme, welche Sie von unserm ersten Eintreffen in Jena bis jetzt gegen uns an den Tag gelegt haben, und seien Sie versichert, daß wir auch fernerhin des Zutrauens, welches Sie in uns gesetzt haben, würdig zu sein, uns bemühen werden. Wenn irgend Jemand so lange Zeit uns an Jena gefesselt hat, so war es der anregende Umgang mit Ihnen und Ihr Freud der Prof. Gegenbaur, die Sie beide so manchen strebsamen Jüngling nach dem kleinen Jena ziehen.

Unsere Reise nach Bonn ging glücklich von Statten. In Stuttgardt hielten wir uns einen halben Tag auf, verschafften uns einen Überblick über die Lage der Stadt und deren || Umgebung vom Schießplatz und der Uhlandhöhe aus, sahen uns den Park und die in Thätigkeit gesetzten Wasserkünste an und besuchten die Bildergalerie und das palaeontologisch zoologische Museum, das an dem Tage gerade geöffnet war. Die Rheinfahrt geschah unter Regenwetter und hat uns trotzdem der Rhein diesmal mehr als vor 10 Jahren angesprochen. Die Berge erschienen uns diesmal ungemein waldreich nach der Dürre der Dalmatinischen Küste. In Bonn haben wir am ersten Tage der Frau Professor Bleek einen Besuch abgestattet. Obwohl noch kränklich, braucht sie doch nicht mehr das Bett zu hüten; und war sie so freundlich, uns des Abends zu einer Tasse Thee zu sich zu bitten, wo wir dann Manches von Dalmatien erzählt haben. Ihr Logis ist schon seit einem Semester an 2 Studirende aus Bremen und Lübeck vergeben und mußten wir uns || daher anderwärts eines besorgen. Mit unserer Wahl sind wir sehr zufrieden, zwei schön möblirte Zimmer am Vierecksplatz, das Arbeitszimmer nach dem Hof gelegen und daher still. Leider ist Prof. Schultze noch in einem Bad, in dem er bis Mitte Mai bleiben wird. Auch bei Prof. La Valette haben wir noch keinen Besuch gemacht, da wir auf den seit 8 Tagen als Eilgut abgesandten Koffer mit unsern Kleidern und Büchern noch warten. Die Verspätung ist doppelt unangenehm, als das miserable Regenwetter uns beständig in der Stube zu bleiben zwingt und wir doch eine geregelte Beschäftigung aus Mangel unserer Bücher nicht beginnen können. Aber die Kliniken und Vorlesungen, die wir belegt haben, und wie uns dieselben gefallen, werde ich Ihnen später einmal schreiben, wenn ich ein sicheres Urtheil abgeben kann. Bis jetzt sind wir sehr zufrieden. ||

Meinen Nachtrag über die Entwicklung des Tunikatenmandels werde ich Ihnen in den nächsten zwei Wochen einschicken. Nur muß ich Sie bitten, mir vorher anzugeben, in welcher Zeitschrift ich die im Separatabdruck erschienene Arbeit Kupfers noch einmal lesen kann. Vor kurzem ist auch in Reicherts Archiv ein kurze Mittheilung von Dönitz seinem Assistenten erschienen in der er in unverschämter Weise die Angaben Kowalevskis in Zweifel zieht und gegen die Verwandtschaft zwischen Ascidien und Wirbelthieren protestirt. Leider theilt er seine eigenen Beobachtungen nicht ausführlich mit, in denen man dann gewiß manche Irrthümer würde entdecken können.

Indem ich wünsche, daß es Ihrer Frau Gemahlin und dem kleinen Töchterchen seit der Ankunft des Papas recht gut geht, grüßt Sie herzlichst

Ihr ergebener Oscar Hertwig.

[Nachschrift von Richard Hertwig]

Herzliche Grüße von Richard

Unsere Adresse: Vierecksplatz No. 7. bei Dr. Zartmann.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.05.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30360
ID
30360