Hartmann, Eduard von

Eduard von Hartmann an Ernst Haeckel, Berlin, 30. Oktober 1874

Berlin den 30. Oktober 1874.

Hochgeehrter Herr!

Gestatten Sie mir zunächst, Ihnen meinen verbindlichsten Dank auszusprechen für die Uebersendung der 2ten Auflage Ihrer „natürlichen Schöpfungsgeschichte“, durch welche Sie den Publicationenaustausch zwischen uns in so freundlicher Weise anbahnten. Ohne Zweifel habe ich seit dieser Zeit von Ihnen mehr empfangen als gegeben und insbesondere habe ich für das werthvolle Geschenk der Anthropogenie zu danken. Wenn ich bisher die Aussprache meines Dankes in Anschreiben unterließ, so geschah es nur aus Rücksichtnahme für Ihre so vielseitig in Anspruch genommene Zeit. Heute veranlaßt mich ein besonderer Grund, mich an Sie zu wenden. Ich habe nämlich der „Deutschen || Rundschau“ einen Artikel über Ihre Anthropogenie nebst Rückblick auf Ihre früheren Arbeiten zugesagt, und wollte mir die Bitte erlauben, daß Sie mich hierfür mit einigen biographischen Notizen gefälligst versehen, wie diese bei einem solchen Essay vom Publikum nicht mit Unrecht gern gesehen werden. Ferner wünschte ich die chronologische Reihenfolge Ihrer hervorragenden naturwissenschaftlichen Entdeckungen aufzuführen, wenngleich ich sonst natürlich in Anbetracht der erforderlichen populären Haltung auf fachwissenschaftliche Details nicht eingehen darf. Wenn Sie sonst vielleicht Notizen über die von gegnerischer Seite erfahrene Befehdung und ähnliches hinzufügen wollen, wird es mir sehr erwünscht sein. ||

Ob meine letzte Arbeit (Wahrheit und Irrthum im Darwinismus) Ihnen aus den letzten Quartalen (III und IV) der „Literatur“ bekannt geworden, weiß ich nicht. Nach Neujahr werden Sie dieselben in Buchausgabe erhalten. Das letzte Capitel enthält auch Polemik gegen Sie. Gleichwohl hoffe ich, daß Sie mit dem Ganzen, wenn auch nicht einverstanden, doch auch nicht unzufrieden sein werden. Ihre Lebensarbeit an der Descendenztheorie wird durch meine Einordnung in den Idealismus unmittelbar nicht berührt, mittelbar aber gewiß in Kreise eingeführt, die vorher sich nur ablehnend gegen jene verhielten. Daß ich Sie selbst überzeugen könnte, daß Ihre mechanische Weltanschauung eine Sache ist, die mit Ihrer Aufgabe als Naturforscher gar nichts zu thun hat, || und nur irrthümlicher Weise mit derselben zusammengeschweißt wird, das wage ich kaum zu hoffen. Ich meinerseits bin überzeugt, daß soweit wir Gegner sind, wir unser specifisches Gebiet unnöthiger Weise überschreiten, und daß unsere positiven Bestrebungen einer gemeinsamen Sache dienen.

Indem ich Ihnen in dieser Gesinnung im Geiste die Hand reiche, verbleibe ich in aufrichtiger Hochachtung

Ihr

ergebener

Eduard von Hartmann.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
30.10.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30197
ID
30197