Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Walter Haeckel, Bielefeld, 11. August 1919

Bielefeld, 11.8.1919

Sehr geehrter Herr Haeckel,

In der Zeitung lese ich soeben die Nachricht vom Todes Ihres Herrn Vaters, der trotz allem, was ich über seinen Gesundheitszustand wußte, für mich doch überraschend gekommen ist. Ich brauche Ihnen und Ihren Angehörigen nicht besonders zu sagen, einen wie innigen und aufrichtigen Anteil ich an dem überaus schweren Verlust nehme, den Sie, Ihre ganze Familie, die Wissenschaft und die Kulturmenschheit erlitten haben. Der Tod Ihres Vaters hat eine Lücke gerissen, die nicht ausgefüllt werden kann, denn eine solche Persönlichkeit mit allen ihren großen und herrlichen Eigenschaften kehrt wohl nie wieder.

Was ich selbst dem Verstorbenen an geistigen Werten verdankea, seit ich in der Schule Hermann Müllers zu Lippstadt zuerst vor mehr als 40 Jahren seine Bekanntschaft machte, kann ich jetzt nicht in Worte fassen. Was er mir in den langen Jahren unserer Bekanntschaft auch rein menschlich gewesen ist, werde ich in unverminderter Treue dankbar empfinden bis zu meinem eigenen Tode. Immer und überall habe ich mich als Vertreter und Verfechter seiner Gedanken und seiner eigensten Weltanschauung betrachtet und ich werde in meiner demnächst wieder erstehenden Zeitschrift „Neue Weltanschauung“ die Weiterführung seines Werkes als meine Pflicht ansehen.

Gerade in dem Augenblick, in dem ich die Nachricht vom Hinscheiden Ihres Vaters lese, bin ich Begriff, eine dringende achttägige Reise anzutreten, die mich leider daran hindert, nach Jena zu eilen, um dem || alten Lehrer und väterlichen Freunde die letzten Ehren zu erweisen. Vor einem Jahre gerade war ich zum letzten male in Jena und am 10. August haben wir, Ihr Herr Vater, Dr. Heinrich Schmidt und ich, noch einen sehr schön verlaufenen Ausflug nach Burgau gemacht, an den ich nun als an die letzte Zusammenkunft mit Ihrem Vater immer zurückdenken werde. Am 11. August habe ich dann noch einige Stunden mit ihm in dem Arbeitszimmer verplaudert und wir haben allerlei Zukunftspläne besprochen, aus denen aber leider nichts geworden ist, nicht durch unser Beider Schuld.

Aus meinem Leben ist durch den Tod Ihres Vaters die größte Gestalt ausgeschieden, der ich begegnet bin, ein Mann, der mich überaus stark beeinflußt hat und dem ich in erster Linie jene erhabene Weltanschauung verdanke, die mir in allen guten und bösen Lagen des Lebens ein Trost und eine Stütze gewesen ist und immer sein wird.

Am vergangenen Samstag habe ich noch im Sinne Ihres Vaters gehandelt, indem ich einem jungen Ehepaare statt des Pfarrers eine monistische Traurede gehalten habe.

Ueberall im Leben wird mir in Zukunft Ihr Vater und der schriftliche Verkehr mit ihm fehlen und ich werde schmerzlich darauf verzichten müssen, dann und wann in Jena einen Besuch zu machen.

Was ich jetzt in diesen Augenblick alles empfinde, kann ich nicht in kurze Worte fassen. Sie wissen ja, wie ich Ihren Vater verehrt und geliebb habe. Seine Persönlichkeit wird immer lebendig vor meinem Geiste stehen und mein ganzes Sinnen und Denken gehört nach wie vor seinem Werke.

In aufrichtiger Trauer

Ihr ergebenster

Dr. W. Breitenbach

a korr. aus: veadnke; b korr. aus: gelibt

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
11.08.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30043
ID
30043