Kühne, Willy

Wilhelm Kühne an Ernst Haeckel, Berlin, 21. Januar 1863

Berlin den 21ten Januar 63.

43. Kanonierstrasse

Mein lieber Haeckel.

Sie haben mir durch Ihren letzten Brief einen Floh ins Ohr gesetzt, und der Gedanke an eine Existenz in Jena ist mir in seiner ganzen furchtbaren Größea gespenstisch vor die Seele getreten. Es hat sich indessen bei Ihnen manches geändert, und in Sonderheit könnte Jena für mich ein besseres Aussehen bekommen, durch den Ausfall der kleinen Erscheinung, welche mir Stadt und Laboratorium so unangenehm machte. Ich kann trotzdem, und obwohl ich es für ein Glück hielte mit Bezold, Ihnen etc gemeinsam zu wirken, natürlich nicht sagen, ob ich mich || werde zur Annahme der fraglichen Stelle entschließen können, denn es fällt dabei natürlich auch der Gedanke ins Gewicht, daß ich vielleicht gar nicht im Stande bin dort zu leisten, was man erwarten darf, oder vielleicht nur mit Aufopferung meiner sonstigen Arbeiten fähig sein werde, die Stelle auszufüllen. Auf alle Fälle möchte ich Sie vor der Hand darum bitten, mir die näheren Verhältnisse mitzutheilen, b natürlich nach ganz offener Rücksprache mit Ihren Freunden, denen Sie auch nicht vorenthalten dürfen, daß ich der leichtfertige Gesell bin, den Sie vielleicht an mir kennen gelernt haben. Sie werden mich verbinden, wenn Sie mir dann baldmöglichst Nachricht geben. Sollte es mit Jena Nichts werden, so können Sie leicht denken, daß ich dann doch || hier in Berlin den Tod des Busenfreundes Lehmann zu einem für mich günstigen Ereigniß werde zu machen suchen.

Actinophrys und Amoeba habe ich gefunden, und ich brauche jetzt nur noch Gregarinen, um meinen Kummer über den Mangel an Myxomyceten vergessen zu können. Die contraktilen Künste sind doch gar zu schön, schon weil so Mancher darauf hereinfallen würde. Eben habe ich wieder Reicherts Sarkode Artikel gelesen; „Ein Kerl der spekulirt, ist wie ein Thier auf dürrer Heide, – und rings um liegt die allerschönste Weide!“ Von unserer blühenden Weide aus, werde ich den Kerl mal in seiner ganzen Narrheit vor dem großen Publikum darstellen. || Haben Sie denn die neuesten Grobheiten von Hartmann gegen Schultze gelesen? Dasc ist das größte Unglück daß Nullen wie Reichert an einflußreichen Stellen, diese Nullen, die wir doch kennen als solche, und die unter uns sonst als ganz gute Kerle aufgewachsen sind, zu solchen Flegeleien veranlassen können. Entschuldigen Sie meinen Styl, ich habe eben Reichert gelesen.

Ihrer werthen Frau Gemahlinn [!] darf ich zum Schluß wohl meine besten Grüßen [!] durch Ihren Mund zu Füßen legen lassen.

Ihr

Kühne

Viele Grüße an Bezold.

a korr. aus: Größen; b gestr.: mit; c korr. aus: Daß

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.01.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 28346
ID
28346