Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Sand im Tauferertal, 20. August 1912
Sand im Tauferertal, 20. August 12. | Tirol
Hochverehrter Freund!
Lassen Sie uns nochmals Ihnen und Ihrer verehren Frau Gemahlin meinen innigsten Dank aussprechen für die liebevolle Aufnahme und sagen, welch‘ eine ausserordentliche Freude es mir war, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen, in Ihre Augen schauen, Ihre liebe Stimme hören zu dürfen, vor allem aber Ihre unserem Hause so unendlich wertvolle, freundschaftliche Gesinnung unverändert zu finden. Leider freilich wurde mir der Anblick Ihres Zustandes zur || Quelle tiefsten Bedauerns; wie Sie selbst sagen, ist es ein ganz niederträchtiger Zufall, dass ein nichtiger Anlaß zur Ursache werden musste eines so lange Stillsitzen-müssens. Aber die volle Kraft & Gesundheit, die aus Ihren Augen spricht, gibt mir doch die Hoffnung, daß auch das sein Ende nehmen und Sie Ihre Bewegungsfreiheit wiedererlangen werden. Wäre nicht vielleicht Franzensbad zu versuchen; der Effekt seiner Moorbäder soll ja gerade bei Leiden Traumatischen Ursprunges oft so ausserordentlich sein. Verzeihen Sie den ärztlichen Rat – fingit se medicum quisquis idiota profanus – aber eben hier hörte ich von einer ganz wunderbaren Heilung durch Franzensbad. || Allerdings auch von einer noch wunderbareren durch Lourdes – das anzuraten ich aber doch nicht Idiota genug bin. –
Ich traf hier meine Frau & Schwester Valentine in bestem Wolsein & sehr befriedigt, eigentlich sogar entzückt über den hiesigen Aufenthalt, der auch mir den angenehmsten Eindruck macht. Beide lassen sich von meiner Reise erzählen, am liebsten von Jena & von Ihnen & dieser letzte Aufenthalt, das Wiedersehen mit Ihnen, entlockt beiden die meisten Äusserungen des Neides. Meine Frau hat sich ausserordentlich gut erholt, so daß sie es eigentlich bedauert, die Reise, zu der unsere Livländer Freunde auch sie so dringend eingeladen, || nicht mitgemacht zu haben. So planen wir denn schon eine Nordlandsfahrt für’s nächste Jahr und wenn Sie dann zur Zeit unserer Fahrt durch Deutschland noch zu Hause, überfallen wir Sie zu Dreien. Hoffentlich sind Sie dann doch schon ausgeflogen, wenn nicht, dann auf Wiedersehen 1913 in Ihrem wunderschönen Heim!
Danke auch nochmals für die mannigfaltigen Genüsse künstlerischer Art, die Sie mir zugedacht & für Alles, was Sie mir geboten an Erinnerungen & Anregungen, die ich empfangen. Zu Hause freue ich mich schon auf die neuerlichen Durchsicht Ihrer Briefe. –
In treuer, alter, innigster Verehrung, mit einem Handkuß für Ihre Frau Gemahlin
Ihr Sie wahrhaft liebender
Gust. Krauseneck