Otto Lehmann-Russbüldt an Ernst Haeckel, [Berlin], 1. Dezember 1910
z. Z. Deutscher Reichstag
1. Dezember 1910.
Adr. Schmargendorf
Misdroyerstr. 13.
Ew Excellenz
Ew Excellenz Kirchaustritt hat alle Welt erregt. Heil der Freiheit! Die „Deutsche Tageszeitung“ und die „Voss“ brachten Leitartikel – jeder in seiner Farbe.
Wir haben nun sofort unter dem Vorsitz Professor Gurlitts ein „Comité der Confessionslosen“ geplant, das den Austritt der Gebildeten und Beamten weiter betreiben will. Ausser Graf Matuschka ist noch ein Corvettenkapitaina (adelig) ausgetreten, ebenso ein katholischer Graf Oriola. ||
Heute nun Folgendes:
Würden Ew. Excellenz im Januar nach Berlin kommen? Wir beabsichtigen eine Demonstration. Graf Matuschka als Vorsteher der Schöneberger Stadtverordnetenversammlung, Dr. Rud. Penzig als Mitglied der Charlottenburger Stadtverordnetenversammlung wurden als Mitglieder der städtischen Schuldeputationen gewählt, von der Regierung aber nicht bestätigt, weil sie Dissidenten.
Wir wollen in einer grossen Versammlung im Januar (oder Februar) die staatsrechtliche Seite der Sache durch einen || bekannten Rechtsgelehrten beleuchten lassen – etwa Schücking.
Die ganze Sache würde zu einem glänzenden Erfolge, wenn Ew. Excellenz vorher eine Ansprache hielten.
Heute wollte ich nur um Ew. Excellenz Meinungsäusserung bitten, ob Sie im Princip zusagen können. Wir müssten die Sache sofort gut vorbereiten! Über das Nähere können wir uns weiter verständigen, eventuell kommt ein Herr unseres Comités nach Jena.
In vorzüglicher Wertschätzung und Verehrung grüsst
Ihr Otto Lehmann-Russbüldt.
a nachträgliche Ergänzung Ernst Haeckels: Traugott von Koppelow Charlottenburg, Kaiserdamm 115.