Lilia Rosa Lang an Ernst Haeckel, Zürich, 2. Februar 1906
Zürich, den 2. Februar 1906.
Hochverehrter und lieber Herr Pate!
Was werden Sie von einem solchen Patenkinde denken, das so reichlich beschenkt wurde u. so lange nichts von sich hören liess? Ich bitte Sie aber dringend, meine ungeheure Undankbarkeit etwas milde und nachsichtig zu beurteilen! Ihre wunderschönen „Wanderbilder“ haben mich so überraschta und gefreut, dass ich wirklich gar nicht weiss, wie ich Ihnen danken soll! ||
Sie verwöhnen Ihr Patenkind in einer ganz bedenklichen Weise; übrigens hätte gar nicht sehr viel gefehlt, so wäre mein Herr Papa ordentlich eifersüchtig geworden auf mich! Also nehmen Sie, bitte, meinen herzlichsten Dank entgegen. –
Es tut uns allen sehr leid, dass Sie in letzter Zeit nicht ganz zufrieden sein konnten mit Ihrem Gesundheitszustand. Hoffentlich werden Sie nun aber bald wieder völlig hergestellt sein!
Uns allen geht es sehr || gut, besonders uns drei Kindern, wir sind eben echtes „Unkraut“. – Ich bin nun in der 3. Seminarklasse als Maturandin und werde ziemlich von meiner Arbeit in Anspruch genommen, sodass ich in letzter Zeit weder gemalt noch gezeichnet habe. Es ist vielleicht auch ein wenig meine Faulheit daran schuld, denn in meinen freien Stunden lasse ich mich zu was anderem als zur Arbeit, verlocken u. ganz besonders jetzt im Winter. Einmal ist die Schlittbahn die Versucherin, || ein andermal übt das Eis eine gewaltige Anziehungskraft auf mich aus! –
Papa lässt Ihnen sagen, dass Sie in nächster Zeit einige Zeilen von ihm erhalten werden und Ihre „Adoptivtochter Mathildeb“ bittet mich, Sie auf’s herzlichste zu grüssen, sowie auch Ihre verehrte Frau Gemahlin!
Und nun wünsche ich Ihnen, lieber Herr Pate-Onkel und Frau Professor noch nachträglich alles Gute und Schöne für 1906,
und verbleibe in Dankbarkeit
Ihr ergebenes
Patenkind
Lilia Lang.
a gestr.: ,; b korr. aus: Mathlide