Karl Gude an Ernst Haeckel, [Magdeburg, ca. 1870]
Mein lieber Freund!
Anbei erhälst Du ein Buch, welches ich, ohne vorher angefragt zu haben, Dir gewidmet habe. Es ist die neue Ausgabe der ersten Reihe meiner Erläuterungen deutscher Dichtungen. Nimm sie als ein Zeichen alter Liebe freundlich auf und wirf dann und wann in den Erholungsstunden einen Blick hinein. Die Kritik hat sie günstig beurtheilt und hat mir Muth gemacht, noch eine vierte Reihe folgen zu lassen. Die zweite ist jetzt in einer neuen Auflage ebenfalls im Druck. Im vergangenen Sommer bin ich, denke Dir, in Thüringen gewesen und habe Dich dennoch nicht besucht. Die Sache hängt so zusammen. Ich war zu meiner || Stärkung und Erholung nach dem reizenden Georgenthal gegangen. Leider aber wirkte die Hitze so nachtheilig auf meinen Körper, daß ich nicht bis zu Ende der Ferien dort weilen konnte und machen mußte, wieder nach Magdeburg zu kommen, um nur nicht an einem fremden Orte unter fremden Menschen krank zu werden. So mußte ich denn von Appolda [!], ohne einen Abstecher zu Dir zu machen, weiter fahren; Du kannst denken, wie doppelt unangenehm mir das war. Es stellte sich denn auch gar bald die Brechruhr bei mir ein, von der ich mich erst in den Michaelisferien wieder erholt habe. So geht es einem kranken oder vielmehr fortwährend kränkelnden Menschen. ||
Vor acht Tagen war Franziska Wieck auf der Durchreise auf einige Stunden hier. Ihr Bruder, Gustav, wird versetzt; er bekommt in Queis, in der Nähe des Petersberges, eine bessere Stelle. Sonst scheint es ja bei Wiecks leidlich zu gehen. Was machen denn Deine lieben Eltern? Wahrscheinlich reisest Du Ostern wieder zu ihnen. Komm doch auf der Rückfahrt über Magdeburg, aber richte Dich so ein, daß wir auch einmal Mittags wieder zusammen sein können, nur nicht Freitags, weil ich an diesem Tage Schule habe.
Während der Festtage werde ich wohl in Braunschweig sein, da eine Tochter meiner Schwester in diesem Jahre confirmirt wird und dieselbe sehr wünscht, daß ich dabei zugegen sein möchte.
In alter Liebe
Dein
K. Gude.
Grüße Deine lieben Eltern bestens!