Eggeling, Heinrich von

Heinrich von Eggeling an Ernst Hackel, Jena, 14 Oktober 1899

Jena 14 Oktober 1899

Hochverehrter Herr Professor!

Lieber Freund!

Mit lebhaftesten Bedauern lasen wir in der Zeitung von einem bösen Unfall, den Sie erlitten haben, und ich Eile, Ihnen unsere innigste Theilnahme und die allerherzlichsten Wünsche dafür auszusprechen, dass Sie die Folgen des Unfalls schnell und leicht überwinden! ‒

Seit geraumer Zeit schulde ich Ihnen Dank für freundliche Zeilen, die Sie mir aus Ajaccio sandten. Ich wollte denselben gleichzeitig mit meinem Danke für Ihr neuestes Werk abstatten, dessen Zusendung Sie mir in Aussicht gestellt hatten. Diese Gabe erhielt ich aber erst vorgestern, nachdem ich übrigens das Werk schon gelesen hatte; und bei der einen Lectüre wird es nicht bleiben. ‒

Zunächst also herzlichen Dank für Beides!

Nach den guten Nachrichten über den ersten Theil Ihrer || Reise bedauerte ich sehr, aus dem von Freund Fürbringer mir mitgetheilten Briefe zu ersehen, dass Sie von den Ergebnissen Ihrer Arbeit in Ajaccio nur theilweise befriedigt sind und dass Sie in zoologischer Beziehung nur negative Resultate gehabt haben. Nun, kehren Sie nur ganz gesund in jugendlicher Frische heim; das ist mein Herzenswunsch! ‒

Dass ich mit Vielem in Ihrem neuesten Werke nicht einverstanden sein würde, sage Sie selbst. ‒ Den im anthropologischen Theile (2-5) gegebenen Empfehlungen bin ich wieder mit Spannung als lernbegieriger Schüler gefolgt. Die Lektüre der übrigen Theile hat oft meinen Widerspruch hervorgerufen, der in einem in gebotener Eile geschriebenen Briefe nicht eingehend begründet und erörtert werden kann.

Beklagt habe ich die Stimmung und den Ton, in welchem Sie über Andersdenkende urtheilen, unter denen es doch wohl auch Solche giebt, die sich Ihre Weltanschauung mit gleich eifrigem Bemühen ausgebildet haben und in || Bezug auf ernste Wahrheitsliebe Ihnen nicht nachstehen. ‒

Beklagt habe ich ferner, dass Sie ernste Fragen öftera mit Hohn und spöttischen Witzen behandeln, die doch höchstens auf solche Menschen anderer Weltanschauung von Einfluß sein können, die sich um Begründung Ihrer Ansichten nicht ernstlich bemüht haben. Kann Ihnen daran gelegen sein, solche Elemente in Ihrer „monistischen Kirche“ zu sammeln? Sie würden doch nur äußerlich sich zu Ihrer Lehre bekennen.

Bei Ihrer leidenschaftlichen Polemik gegen die bestehende Kirche und bei den Vorwürfen, die Sie ihr machen, scheinen Sie mir doch zu übersehen oder sehr zu unterschätzen, welch ungeheure Kraft selbstloser handelnder Liebe der christliche Glaube den Menschen gegeben hat und noch heute giebt, welcher Antrieb zu treuer Pflichterfüllung und welch’ reicher Segen von ihm noch heute ausgeht auf Alle, die fest in diesem Glauben stehen. ‒

Bei Begründung des Monismus wirkt neben der auf äußere sinnliche Wahrnehmung gegründeten Erfahrung und dem erkennenden Verstande jedenfalls „die plastische Thätigkeit der Phantasie“,|| das folgerichtige Denken ergänzend, nicht weniger mit, als in irgend einer anderen Weltanschauung. Auf Einzelheiten einzugehen, fehlt mir die Zeit, da ich dienstlich sehr in Anspruch genommen bin; wir unterhalten uns darüber später wohl öfter.

Unverständlich ist mir, wie Sie bei der Auffassung des geistigen Lebens als einer Function des Gehirns überhaupt Jemandem seine Weltanschauung zum Vorwurf machen können; denn auch diese ist dannb nur eine nach „ewigen Gesetzen“ sich abspielende Function des Gehirns, auf dessen Organisation und Beschaffenheit der willenlose Mensch doch keinen Einfluss hat; auch verstehe ich nicht, wie durch Erziehung und Belehrung das Gehirn geändert und zu dem nach Ihrer Ansicht richtigen Functioniren gebracht werden kann. ‒

Wenn dem Menschen jeder freie Wille fehlt, so kann von einer Conhärenz seiner Ansichten, Empfindungen und Handlungen nicht die Rede sein und die Ideale verlieren nach meiner Auffassung jede Bedeutung, wenn man die Selbstständigkeit des Geistes in Abrede stellt. Der Gegenstand meiner inneren Erfahrung hat dieselbe Realität, wie der Gegenstand der äußeren Erfahrung; Das Geheimniß des Zusammenhanges dieser scheinbar beiden Gegenstände der menschlichen Erkenntniß wird auch die tiefste Erforschung der Entwickelung und der Organisation des Gehirns nicht enthüllen. ‒

Doch genug für heute! Ich muß zur Arbeit, will aber zuvor bei Ihrer Frau Gemahlin Erkundigung über Ihr Befinden einziehen. ‒

Dass ich an Ihrer ernsten Wahrheitsliebe nicht zweifle, fordert keine Versicherung. Ich darf aber hoffen, dass Sie auch mir solche zuerkennen. Weder aus Bosheit noch aus Trägheit bin ich anderer Ansicht; bleibt also nur Unwissenheit zur Erklärung übrig (Seite 13). Nun dann beklagen Sie mich; mein armes Gehirn kann aber nicht anders functionieren!

Mit herzlichsten Grüßen

treu ergeben

Ihr Eggeling.

a eingef.: öfter; b gestr.: doch; eingef.: dann;

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
14.10.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2628
ID
2628