Monjé, Paula (1849-1919)

Paula Monjé an Ernst Haeckel, Düsseldorf, 28. Dezember 1914

Düsseldorf den 28/12 14.

Hochgeehrter Herr Professor!

Es war außerordentlich gut und freundlich von Ihnen, mir die Blätter und last not least – das darin erhaltene gute Bild zu senden. Wenn nur nichta in den scharfsinnigen Definitionen über die Entwicklung des Stoffes das große, große Mauseloch wäre. Es giebt eine entzückende Novelle von Volckmann in den Plaudereien || Am französischen Kamin – da giebt es ein altes armes Männlein und einen reichen Mann; beide besucht Jesus und als er scheidet, gewährt er jedem einen Wunsch. Der Reiche bittet um alles Schöne was die Erde bietet – schönes Haus, schönes Essen, schöne Kleider, schönen Garten etc. Der Arme bittet um ewige Glückseligkeit – Gott zu schauen. Nun beide sterben, und jedem wird sein Wunsch gewährt – alle Hundert oder 1000 Jahre kommt ein Engel um zu fragen wie es den Erben geht. Der reiche Mann ist entzückt von seinem wundervollen || Aufenthalt, alles ist nochmal viel, viel schöner, wie ers auf Erden sah, er kann sich nichts Schöneres denken. So geht es lange Zeit – aber es ist immer dasselbe – er bekommt mehr und mehr Unruhe, er läuft Treppauf, Treppab – immer scheint die Sonne, immer ist der Himmel blau – kein Wechsel von Jahrhundert zu Jahrhundert. Meistens läuft er ohne Schlaf zu finden, Treppauf, Treppab – da entdeckt er einmal in einer Ritze des Daches einen hellen Lichtschein durch eine Ritze strahlen. Hoch auf die Zehen muß er sich stellen, um zu sehen, woher das Licht kommt. – Und was sieht er: im Himmelsglanz am Thron Gottes sitzt || in voller Glückseligkeit der arme Mann. Er schaut und schaut, und kann sich nicht satt sehen – immer wieder zog es ihn zu der Ritze. Und als der Engel kam, um nach ihm zu sehen, da klagte er ihm sein Leid, die bodenlose Langeweile, ich hätte mir den Himmel doch anders gedacht, meinte er. Da sagte der Engel. Hier ist nicht der Himmel, hier ist die Hölle, wo du durch den Ritz im Dache das strahlende Licht siehst, da ist der Himmel. Nach 1000 Jahren komme ich wieder, und wenn du bis dahin auf den Zehen gestanden hast, hole ich dich dahin. || Stellen Sie, hochverehrter Herr Professor, sich doch auch auf die Zehspitzen, und gucken Sie durch Ihr Mauseloch nach dem Beleben Ihrer Materie aus. Das wäre fein.

Ich bin heute nicht klug gestimmt – die liebe Weihnachtszeit macht mir das Herz warm – und giebt dem Werk von Menschensorgen einen Aufschwung zu himmlischer Liebe. Ich war einer von heiligen drei Königen und bescherte mit über 120 Geschenken 71 Kinder, deren Väter im Krieg waren. Als nachher || die Maske geschwunden war, fragte ich eins der Kinder, wer hat dir denn das schöne Hütchen geschenkt, da faltete das Kindchen die Hände und sagte, das schenkte mir der schöne große heilige König.

Meiner Ansicht zerreißen Sie das herrliche Ganze des Weltalls mit den Stoffuntersuchungen. Ich habe immer gesagt: Ich möchte Kindern in den Schulen Anschauungs Unterricht geben. Und was würde ich lehren? Den Ausdruck. Es kommt nicht darauf an, zu wissen, daß eine Tasse auf dem Tisch steht, sondern das Kind soll wissen, wie die Tasse || steht im Zusammenhang, Schönheit und Ordnung lernt es kennen. Wie ein Mensch sich bewegt, soll es im Ausdruck erkennen lernen, nur das ist ein großes Gebiet – man könnte Bände schreiben über den Ausdruck. Nun, Gott erkennen ist auch nur zu lernen im festen Erkennen des Ausdrucks der Welt!

Ich bin etwas müde – aber Sie sind so klug, Sie wissen, was ich meine.

Mit Bedauern las ich in der Zeitung, daß Sie nicht wohl sind. Ich wünsche Ihnen zum Neuen Jahr völlige || Genesung, daß Sie in frischer Schaffenskraft noch weiter arbeiten können zum Wohle der Wissenschaft!

In herzlicher Verehrung

Ihre ergebene

Paula Monjé.

a eingef.: nicht

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
28.12.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 25844
ID
25844