Nebuschka, Marie Luise

Marie Luise Nebuschka an Ernst Haeckel, Dresden, 31. Juli 1916

31. Juli 16.

Dresden-Klotzsche

Bahnhofstr. 8.

Hochgeehrter Herr Geheimrat!

Vor allema bitte ich herzlich um Verzeihung, daß ich Exzellenz aus Unwissenheit nicht richtig angeredet habe. – Hoffentlich habe ich Sie dadurch nicht entzürnt. Das wäre unendlich traurig für mich; denn Sie sind doch mein Halt u. meine Stütze, mein Vorbild, mein Führer, kurz alles wodurch ich lebe, endlich wieder wirklich lebe.

Aber nicht wahr, Exzellenz verzeihen mir diesen u. andere Fehler die ich in meinen Briefen unwissentlich begehe. ||

Manchmal sage ich mir, ich hätte es doch lieber nie wagen sollen zu schreiben, doch dann schaue ich Ihre lieben, schönen Bilder an, die ich gleich Ihren mir so wertvollen Briefen in einem Album sorgsam bewahre, u. dann schwindet auch der letzte Kleinmut vor all dem Großen u. Schönen, daß Sie mir geschenkt.

Mögen noch recht vielen verzagten Menschenkindern Ihre großen Werke so zu Herzen reden wie mir, dann würden Exzellenz sehr bald den großen Umschwung erleben, der doch einmal kommen muß.

Was ich im Kleinen unter Laien dazu tun kann, werde ich täglich neu u. unermüdlich, wo es am Platze ist. Es zählt das ja wohl kaum, aber ich denke doch, für dieses || größte Werk gilt jeder Einzelne. –

Was erlebt man da alles für Verirrungen! Aber das größte Hemmnis ist doch die fruchtbare Denkfaulheit, die vielen Menschen angeboren zu sein scheint.

Die anderen hängen, wenn auch meist unbewusst, wie ich vorher, im Innersten Ihrer Lehre an. Die äußeren misslichen Verhältnisse sind es, die ihnen verbieten sich offen zu bekennen. Wie traurig das doch ist! Wie viele Tausende werden von den Augenblickssorgen in die Tiefe gerissen, u. nur wenige sind so glücklich wie ich, zur rechten Stunde den Weg zur Sonne zu finden mit ihren befreienden sieghaften Strahlen. Der Zufall spielt dabei, wie oft im Leben, eine große Rolle. ||

Wann werden sich endlich alle aus Kleinheit u. Alltag zum Großen, Wahren u. Schönen wenden? –

Wie unglücklich sind doch die meisten Menschen! u. warum? –

Aber ich philosophiere schon wieder. Exzellenz haben darin doch die meiste Erfahrung u. schauen das alles wol mit ganz anderen Augen an; denn Sie sind ja lange über den großen Berg, über den wir alle müssen.

Doch was schwatze ich Exzellenz da vor. Viel lieber möchte ich muckstill sein, u. nur Sie hören u. empfinden.

– – – – –

Ihr hochinteressantes Buch „Natur u. Mensch“, || das ich aus Ihrer Hand erhielt, begleitet mich oft in den Wald hinaus.

Und nach dem Bad in der Matte, unter herrlichen Buchen kann ich mich so recht mit Hingebung in Ihre Schönheiten vertiefen. Wie glücklich bin ich doch durch Sie! – – Die beiden letzten Kapitel „Arabische Korallen“ u. „Brussa u. der asiatische Olymp“ haben mich nun natürlich ganz hingerissen. Ich weiß ja, es ist nur eine kleine Kostprobe Ihrer berühmten großen Reisebeschreibungen, aber es war unendlich schön, endlich auch davon etwas zu geniesen. [!]

Wie verstehen Exzellenz es doch so herrlich, den Leser mit fortzureisen. [!]

Im Geist war ich immer mit dabei. ||

Natürlich als Junge.

Waren denn Exzellenz nie mehr auf den zauberhaften Koralleninseln u. auf den heissersehnten Kuppeln des Sinai? – – – Mit diesen [!] Neuen, Schönen, daß Exzellenz mir wieder erschlossen u. was mich so sehr begeistert ist nun allerdings der ganz natürliche Wunsch, mehr davon zu besitzen, in mir aufgestiegen. Das heißt, die „malayischen Reisebriefe“ sind schon lange mein Wunsch, aber es geht nun mal nicht, leider!

Und Exzellenz mit solchen Wünschen zu kommen, wäre doch zu vermessen. Wie käme auch ich gerade dazu? – Ich stehe so schon hoch in Ihrer Schuld. Ja, wenn ich Exzellenz endlich, wenigstens im Kleinen vergelten könnte, was Sie an || mir getan. Aber so? – So haben auch die schönsten Rosen Dornen, nicht wahr? Das ist unser Aller Los! – – –

Wenn Exzellenz mir bei Gelegenheit gütigst einige kurze Anleitungen geben würden, was ich nun lesen soll, um mich auf diesem Gebiete weiter zu bilden, wäre das eine große Freude für mich. Vielleicht kann ich doch leihweise oder um weniger Geld hie u. da etwas erlangen. Das wäre doch wieder ein Fortschritt. – – –

Mögen Sie uns Exzellenz noch recht lange lange gesund erhalten bleiben u. noch viel Freude an Ihren großen Werken erleben, das ist mein größter Wunsch u. wird es immer bleiben.

Wenn sich der erfüllt, werde ich stets || zufrieden und glücklich sein.

Mit größter Hochachtung

ganz ergebenst

Ihre stets dankbare

Lissi Nebuschka.

a irrtüml.: allen

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
31.07.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23990
ID
23990