Nebuschka, Marie Luise

Marie Luise Nebuschka an Ernst Haeckel, Dresden, 31. Mai 1916

31. Mai 16.

Dresden-Klotzsche

Bahnhofstr. 8.

Hochgeehrter Herr Professor!

Die Sonne ist es, die mir Mut gibt, das zu schreiben.

Ihre Welträtsel haben mir so schöne Stunden des Denkens bereitet, daß ich Ihnen danken muß.

Es ist mir darin so vieles aus der Seele gesprochen, was ich bisher nur geahnt; so herrlich in Worte gekleidet, daß ich nicht aufhören kann zu bewundern, u. mich täglich bemühe, vieles, später vielleicht einmal alles ganz zu verstehen.

Das Schicksal, das unabänderlich ist, hat mir in den letzten 3 Jahren viel traurige Stunden bereitet. – Ohne Stellung (ich bin, oder besser war || Schauspielerin) ich war gewohnt, meinen Kopf anzustrengen, war ich schon oft daran, ganz an dem jetzigen Leben zu verzweifeln.

Da fiel mir Ihr Buch in die Hände.

Hochverehrter Herr Professor, Sie haben mich aus dem öden Einerlei, aus Kleinlichkeit u. Hässlichkeit herausgeführt. Ich lebe neu auf in all dem Wahren u. Schönen, daß Ihr Wissen mir erschließt.

Wie schön muß es sein, mit Ihnen durch die Natur zu wandern, wie beneidenswert die Menschen, denen Sie sich mitteilen. Verzeihen Sie, aber Sie haben mir unendlich wohl getan; ich danke Ihnen.

Ich wage es, ein Bild beizulegen, falls Sie den Wunsch hegen sollten, die Thörin, die sich an so Professor vergreift, an Angesicht zu sehen. ||

Nun habe ich noch eine große Bitte. Das haben Sie sich gleich gedacht, nicht wahr?

Ein Bild möchte ich gern besitzen, ein Bild von Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, aus Ihrer Hand.

Sie würden mich sehr glücklich machen. Da muß ich doch wieder um Verzeihung bitten; denn daran wird Ihnen nicht viel liegen.

Sie werden diese Bitte einer Ihrer größten Anhängerin u. aufrichtigsten Verehrerin Ihrer Lehre, nicht versagen.

Ich erhoffe mir nicht geringem Herzklopfen das Schreiben von Ihnen.

Mit größter Hochachtung

in tiefster Verehrung ergebenst

Ihre stets dankbare

Lissi Nebuschka. ||

Dieser Wunsch von Ihnen, Ihre lieben Worte mit Ihrem Bild u. alle Ihre Schriften, die ich gelesen habe, u. die, die ich noch lesen will, werden stets das Schönste in meinem Leben sein u. bleiben. –

Ich erhoffe mir, daß die Schicksalsgöttin, die mich, seit ich Ihre Welträtsel kenne, schon mit viel wilderen Auge anblickt, als zuvor, mich einmal im Leben in Ihre Nähe führt um Ihnen für alle das Schöne vielleicht anders danken zu können, als mit leeren Worten. –

Ich wünsche von ganzem Herzen, daß Sie, hochgeehrter Herr Professor noch recht lange u. gesund der Welt erhalten bleiben, der Welt, die Sie uns in neuem schönerem Licht geschenkt, damit Sie sich der Früchte Ihrer guten Tat freuen können. ||

Verzeihen Sie bitte mein langes Schreiben, aber ich bin ja so glücklich!

In der frohen Hoffnung, daß ich Ihnen, hochgeehrter Herr Professor einmal wieder schreiben darf

bleibe ich mit größter Hochachtung

Ihre ganz ergebene

stets dankbare

Lissi Nebuschka.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
31.05.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23982
ID
23982