Richthofen, Ferdinand Freiherr von

Ferdinand von Richthofen an Ernst Haeckel, Leipzig, 18. Februar 1885

Leipzig d 18t Febr. 1885

Liebster Freund!

Als ich gestern Deinen Brief erhielt, der mir die erste Kunde von dem Tod des mir persönlich allerdings wenig bekannt gewesenen Geologen E. E. Schmid brachte, suchte ich mir, Deinem Wunsch entsprechend, sofort klar zu machen, wer als sein Nachfolger in Frage kommen könnte. Durch Deine Directive

„ein jüngerer, strebsamer und tüchtiger Docent, der das Gesamtgebiet der Geologie im Sinn der neueren Entwickelungstheorie vertritt – dabei mehr Werth zu legen auf allgemeine Geologie und besonders Paläontologie, als auf specielle Petrographie und Krystallographie“

war mir eine Richtschnur angewiesen. Da die betreffende Professur, wenn nur eine vorhanden ist, nach altem Brauch auf den Namen Mineralogie getauft ist, so legt man in der Regel auf diese Wissenschaft ein erster Linie Werth. Die Folge davon ist, daß die kleineren Universitäten, wie Marburg, Kiel, Greifswald, Königsberg, || jetzt sämmtlich mit reinen Mineralogen besetzt sind, und Paläontologie nebst allgemeiner Geologie nur noch an den großen Universitäten gelernt werden können. Ich begrüße es daher freudig, daß einmal diese Seite in den Vordergrund kommt. Theoretisch würde es natürlich am besten sein, wenn der zu Berufende nach beiden Richtungen sattelfest wäre. Solche Leute sind aber in der jüngeren Generation kaum zu finden, da ja ganz andere Vorstudien für die Ausbildung in der einen und der anderen Richtung erforderlich sind. Ich glaube, daß Lepsius in Darmstadt in Folge seiner mehrjährigen Lehrthätigkeit die allgemeine Ausbildung sich angeeignet hat; aber da er jetzt die geologische Landesaufnahme in Hessen leitet, würde er einen Ruf kaum annehmen können.

Wenn ich die geologisch-paläontologische Seite in erster Linie in’s Auge fasse und diejenigen ausschließe, welche, wie Dames und Andere, nicht nach Jena kommen würden, so möchte ich Deine Aufmerksamkeit wesentlich auf Einen richten, von dem ich überzeugt bin, daß er in || ausgezeichneter Weise genügen würde. Dies ist Dr. Steinmann in Strassburg, jetzt Privatdocent, mit Extraordinariat in nächster Aussicht. Er war mehrere Jahre bei den geologischen Aufnahmen im Elsass Lothringena thätig. Ich lernte ihn kennen, als er mir und einigen Anderen als geologischer Führer im Jura bei Metz diente. Er ist ein junger Mann von ca. 29 Jahren, von großem Talent, scharfer Beobachtung und klarem Kopf, lebhaft in der Auffassung, äußerst anregend in der Darstellung, dabei ein prächtiger liebenswürdiger Mensch. Seine Arbeiten, wesentlich über Juraformation, gelten als vorzüglich. Jetzt ist er zwei Jahre in Patagonien, Chile und Bolivien gereist. Er besuchte mich hier, und ich konnte die Reichhaltigkeit seiner Beobachtungen, die uns endlich einmal Klarheit über die Anden geben, kennen lernen.

Dr. Steinmann ist Braunschweiger, würde daher gewiß gern in die Nähe seiner Heimath kommen. Wie er in Mineralogie beschlagen ist, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er sie gelernt. Daß er sich mit Petrographie beschäftigt, habe ich aus seinen Mittheilungen entnehmen können. ||

Vielleicht schreibe ich Dir noch über Andere. Diese Notiz aber wollte ich Dir doch bald schicken. Denn für keinen anderen kann ich so ohne jeden Rückhalt eintreten. Steinmann ist als Fachmann und als Mensch zu rühmen, und ich bin fest überzeugt, daß Du dich mit ihm vorzüglich verstehen würdest. Daß er etwas in der Welt gesehen hat, ist wol auch in Wagschale zu legen.

Gut dürfte es sein, neben ihm einen Privatdocenten für Mineralogie heranzuziehen. Die Idee der zwei Extraordinariate hat gar nicht meinen Beifall.

Ein Gutachten über Steinmann könntest du Dir noch von Zittel erbitten. Er würde mir sicherlich vollkommen beistimmen.

Ich freue mich, daß Du den Plan des Wiedersehens festhältst, hoffentlich in Gestalt eines Besuches in Leipzig.

Mit besten Grüßen von Haus zu Haus

in alter Freundschaft

Dein

F v Richthofen

a eingef.: Lothr.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
18.02.1885
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 21646
ID
21646