Richthofen, Ferdinand Freiherr von

Ferdinand von Richthofen an Ernst Haeckel, Wien, 15. November1856

Für Haeckel

Hafenplatz №1

Wien d 15.t Novbr 1856.

Vorstadt Landstraße, Krüglgasse 321.

Mein lieber Ernst!

Du wirst wol längst aus dem herrlichen Nizza in den kalten Norden zurückgekehrt sein und in Berlin nach dem im Süden vergeblich erwarteten a Briefe fragen. Entschuldigungen erspare mir; ich verweise Dich in dieser Hinsicht auf die Anfänge unsrer beiderseitigen letzten Briefe. Sie enthalten Alles, was auf diesem Felde zu leisten möglich ist. Innig gefreut hat es mich daß dein pathologisch-anatomischer Eifer so glänzend gekrönt worden ist und daß ich Dich nicht, wie ich wollte, wegen der gestörten Ferien zu bedauern brauchte. Schöner hättest Du in der That diese Zeit nicht zu bringen können, als mit Studien in Nizza. Wie herrlich muß es dort sein. Bei allen italienischen Reiseplänen, die ich je in meinem Atlas machte (und davon sind nicht wenig) spielte stets Nizza eine Hauptrolle. Welchen Werth es für Dich haben mußte, erfuhr ich besonders durch Carl Vogt. Da magst Du recht geschwelgt haben. Wie viele Pteropoden, Ctenophoren, Salpen u. s. w. mögen unter Deinem Messer eines grausamen Todes gestorben, wie viele bei lebendigem Leibe in Spiritus gesetzt worden sein! Dazu die herrliche Reise; jetzt muß ich respectvoll an Dir als großem Reisenden hinaufsehen. Ueber die Resultate hoffe ich bald von Dir recht Viel zu erfahren, Du weißt, wie sehr sie mich || interessiren, wenn ich auch nur zuweilen als Gast in Deinem Gebiet mich umsehen darf, um einen Begriff zu erhalten von den neuen Einrichtungen und Gesetzen, an deren Verfassung Du nun so thätig mitwirkst. Alle meine Freunde arbeiten thätig und rüstig, so daß ich alle Kraft werde aufwenden müssen, um nicht allzu weit zurückzubleiben. Dies vereinte Wirken zur Förderung der Wissenschaft in ihren verschiedenen Theilen ist so überaus schön und wirkt ungemein anspornend. In unsere Hände werden die Fortschritte mehr und mehr gelegt. Wie die Alten sich zur Ruhe begeben, ist nirgends klarer, als in Oesterreich, das vollständig durch junge Kräfte regiert und gefördert wird. Darum wird hier in kurzer Zeit ein mächtiger Fortschritt stattfinden, eine Entwickelung, wie sie selten vorgekommen ist. Merkwürdig ist es, welche bedeutende Rolle dabei Ausländer spielen. Man sträubt sich gegen ihre Annahme und doch nimmt man sie gern und allemal sind sie es, die am meisten zur Geltung kommen. Die österreichische Schulbildung, besonders die b erste, steht noch auf einer sehr niedrigen Stufe, sodaß es sehr Wenige gibt, die einen vernünftigen Deutschen Styl schreiben können. Daher imponirt mir solches ungemein. Es ist hier, ebenfalls an der Reichs Anstalt, ein Dr. Hochstetter aus Würtemberg, bereits seit vier Jahren in Wien. Actuell bekleidet er eine mindere Stellung, virtuell die erste; denn er gilt bei Privatleuten, bei Stadt, Staat und Minister ungemein Viel, dito bei der Academie. Jetzt hat || man ihn zu einer Reise um die Welt vorgeschlagen, welche eine österr. Fregatte im Januar beginnen soll. Du kannst Dir denken, daß es mich etwas rapplig macht, wenn wir den Reiseplan über Rio Janeiro, Cap, Bourbon, ostindische Inseln, himmlische Häfen, westamerikanische Häfen, Kap Horn etc. verfolgen. Wie gern möchte ich da mit; aber ich bin noch fest gebannt an österreichischen Boden. Viel geognostische Eroberungen sind auf dem Weltmeer nicht zu machen, die physikalischen sind selten bedeutend und die zoologischen beschränken sich auf den Raub einiger Sepien und Fische, die man in Einem Faß unterbringt. Aber Erfahrungen, allgemeine Kenntnisse und Erweiterung des Gesichtskreises – das sind die Schätze, die jeder mitbringen muß und die mehr Werth für das Leben haben, als die Entdeckung von Granit auf einer fernen Insel am Südpol, wo man ihn noch nicht kannte. Auch Du hast wieder große Pläne, deren Ausführung du allerdings noch weit hinausschiebst. Wie in mancher anderen Beziehung, so stimmen wir auch darin überein, daß wir beide mehr in der Zukunft, als in der Gegenwart leben. Eine gemeinschaftliche große Reise wäre seiner Zeit in der That nicht übel und ich bin gewiß, daß sie zu Stande kommt. Ein Geologe und Zoolog passen besser zusammen als zwei Geologen. Auch bestreben wir uns ja beiderseitig, nicht ganz wild zu sein in dem Gebiet des Andern. Mit meinen zoologischen Kenntnissen ist es allerdings nicht weit her, ebensowenig mit meinen Studien. Doch gibt die || Paläolontologie manche Veranlassung, sich damit zu beschäftigen. Ich bearbeite jetzt die von mir gesammelte Fauna der alpinen Trias. Acephalen, Branchiopoden und Gastropoden und Cephalopoden sind, wie immer, die Hauptabtheilungen, in deren äußern Formen sich hineinzuarbeiten nicht schwer ist. Die niederen Thierklassen werden mir manche Mühe machen, da ich in ihnen nur höchst allgemeine Kenntnisse habe. Ich hoffe Einiges zu profitiren durch den hiesigen zoologisch-botanischen Verein, durch den ich wenigstens einige Zoologen kennen lernen werde. Botanik habe ich längst principiell für immer ganz an den Nagel gehängt. Wie steht es bei Dir mit den geologicis; hoffentlich c werden sie durch die Thierchen von Nizza nicht allzusehr in den Hintergrund gedrängt.

Nun ist es aber wol endlich an der Zeit, Dir Dank zu sagen für Dein Bild, das ich seit Anfang des Briefes im Auge habe. Du hast mir viel Freude damit gemacht und wirst nächstens nebst andern guten Freunden bei mir hängen. Wenn Hochstetter reist, so lernt er vorher photographiren; ich will mitkommen und dann werden wir uns üben, uns gegenseitig zu porträtieren. Dann kann ich Verschiedene versorgen.

Wie geht es bei dir zu Haus? Empfiehl mich Deinen verehrten Eltern vielmals. Der Tod von Weiss wird auch Euch recht erschüttert haben. Die Nachricht traf mich kurz ehe ich Ehrlich auf der Rückreise besuchte. Vor Wenigen hatte ich je eine so große Hochachtung als vor diesem ebenso Geist- als Gemüth-reichen Nestor meiner Wissenschaft. Empfiehl mich seiner Frau, die wol am härtesten getroffen ist, und versichere sie, daß ich den innigsten Antheil an ihrem Schicksal nehme.

Nun lebe recht wohl, mein lieber guter Ernst, und schreibe trotz Dissertations-Geschäften recht bald Deinem treuen Freund

Ferdinand v Richthofen

a gestr.: Schre; b gestr.: niedere; c gestr.: treten

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
15.11.1856
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 21637
ID
21637