Ernst Haeckel an Franz Freiherr von Roggenbach (Kurator), Straßburg, 24. Januar 1872
Straßburg, 24. Januar 1872.
Hochgeehrtester Herr Professor!
Nachdem unter dem 11ten vorigen Monats durch Erlaß des Reichskanzleramtes des Deutschen Reiches die Grundlagen festgestellt worden sind, von welchen aus die Reorganisation der Universität Straßburg unternommen werden soll – ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Lehrstühle der neuen Hochschule besetzt werden sollen –
Die Eröffnung soll am 1ten Mai dieses Jahres stattfinden –
Dem ergebenst Unterzeichneten ist von seiner Durchlaucht dem Fürsten Reichskanzler der Auftrag geworden, die Verhandlungen mit den hervorragendsten Gelehrten Deutschlands behufs Übertritt an die neue Hochschule einzuleiten, || und unter Genehmigung des Reichskanzleramtes zum Abschlusse zu führen.
Ich habe nicht nothwendig hervorzuheben, von welch hoher Bedeutung an einer jungen Anstalt gerade das Fach geworden ist, welches Sie vertreten und wie wichtig es ist, daß von der Grundlage der vergleichenden Anatomie und Zoologie aus eine bedeutende Rückwirkung auf die Fächer geübt werde, die sich in einer wissenschaftlichen und medicinischen Facultät damit bemühen –
Meine Blicke mußten sich daher von Anfang an auf Sie wenden, dessen hervorragende Leistungen weit über die Grenzen Deutschlands Beachtung und Bewunderung erregt haben. Ich habe nur deshalb bisher gezögert, Ihnen meine Bitte vorzutragen, || weil ich erst einigermaßen die Gestaltung der medicinischen Facultät übersehen wollte, insbesondere die Besetzung des anatomischen Lehrstuhls.
– Nunmehr, wo Professor Waldeyer in Breslau seine Bereitwilligkeit einer Übernahme desselben ausgesprochen hat, werden Sie mir erlauben, daß ich an Sie die Frage stelle, ob sie geneigt wären, an der Universität Straßburg den Lehrstuhl der Zoologie und vergleichenden Anatomie zu übernehmen?
Ich enthalte mich zunächst Ihnen einen bestimmten Vorschlag über die äußere Ausstattung des Lehrstuhls zu machen, da ich vorziehe, Sie selbst, das Maaß Ihrer Bedingungen bezeichnen zu lassen – ich werde gerne nach bestem Können Ihren Wünschen entgegen zu kommen bestrebt sein, || und solche bei dem Reichskanzleramte zur Genehmigung zu bringen bemüht sein –
Unter den früheren Sammlungen der „Akademie“ befindet sich auch eine zoologische, deren wissenschaftlicher Werth allerdings nicht vollständig den Anforderungen entsprechen wird, die Sie zu stellen berechtigt sind – Indessen soll keine Anstrengung gescheut werden, das zoologische Laboratorium angemessen auszurüsten und die Sammlung, insbesondere im Theile der Spirituspräparate zu ergänzen.
Für eine nicht allzu verzögerte Kundgebung Ihrer Entschließung wäre ich bei der Kürze der Zeit, welche für Berufungen gegeben ist, dankbar verbunden –
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Frhr. v. Roggenbach