Rottenburg, Ida von

Ida Rottenburg an Ernst Haeckel, Franzensbad, 24. August 1907

Franzensbad

Hotel Belvedere

24. 8. 07.

Lieber Herr Professor.

Es thut mir so sehr leid, daß ich meinen Mann nicht begleiten kann, um Ihre liebe Frau wieder einmal zu sehen. Besonders gern hätte ich Sie auch gesprochen, in Bezug auf meinen Mann. Ein leerer Vorwand war es nicht, wenn ich ihm sagte, eine Kur in Franzensbad wäre mir nöthig! Mein Knie war recht schmerzhaft u. steif u. d. Behandlung hier wird hoffentlich nützen. Die Hauptsache war mir aber, meinen Mann fort u. in Ruhe zu bekommen, denn sein Zustand machte uns Allen große Sorge. Auch ein englischer Freund, den wir jetzt, auf d. Durchreise sprachen, sagte mir, er hätte Anfang Juli, gefürchtet, mein Mann stände vor einem Schlag-Anfall, oder wäre im Begriff in Melancholie zu verfallen. Alle || Rottenburgs sinda so überaus nervös beanlagt u. Pauls Eltern, der Bruder d. Schwester u. auch sonstige Verwandte sind ernstlich nervös krank geworden. Vor 5 Jahren etwa warnte ein sehr guter Arzt in London meinen Mann, vor der Ueberarbeitung u. rieth eine andere Lebensweise. Der Arzt war der einzige, dem mein Mann wirklich folgte, d. h. auch nur 2-3 Wochen lang u. der ist leider gestorben. Vor 3 Jahren war Paul in einem solchen Zustand von nervöser Reizbarkeit, daß wir Alle verzagten. Der eine Arzt bestand darauf, er solle ganz auf’s Land ziehen u. machte es mir sogar zur Pflicht, meinen Mann dazu zu zwingen, indem ich ein Landhaus miethen u. hinausziehen sollte. Das ging nicht u. ich consultirte unseren Hausarzt, der derselben Ansicht war, mir aber sagte, Paul wäre schon bei ihm gewesen || u. hätte ihm erklärt, er könne noch nicht, des Geschäfts wegen, auf dem Lande leben, würde es vielleicht in 2-3 Jahren möglich machen. Der Arzt behandelte ihn aber u. mit großem Erfolg u. in 4 Wochen ging es sehr viel besser. – Seit etwa 6 Monaten aber, ist allmählich der nervöse Zustand schlimmer geworden. Zuerst kam der Tod des Bruders, der ihn sehr getroffen. Die 4 Wochen, die er dann, zu seiner Erholung, auf Reisen, verbrachte, schienen ihm sehr gut zu thun. Er war wirklich lustig wieder, sah wohl aus u. erholte sich sehr. Kaum nach Hause zurückgekehrt kam aber sehr viel Aerger im Geschäft, wirkliche Sorgen, auch Verluste, die ihm, in seiner Stimmung allerdings, viel größer erschienen, als sie wirklich waren u. dann trat, zum ersten Mal wohl, Schlaflosigkeit ein, die ihn natürlich sehr bald nervös herunter-brachte. Er hörte weder auf d. Arzt, noch auf unsere || Bitten, sich Ruhe zu gönnen. Statt, wie ich gehofft u. er versprochen, 2-3 Tage in der Woche, ganz draußen zu bleiben, blieb er 1-3 Nächte, pro Woche, in der Stadt, wo d. Haus, – auf d. Doctors Rath – nicht einmal für solch Wohnen gut genug eingerichtet ist. Er war furchtbar reizbar, sprach mit den Kindern u. mir gar nicht, oder nur, um zu schelten u. heftig zu werden, fand, daß ich zu extravagant sei und regte sich über Alles auf. Als er sah, wie sehr d. Rheumatismus mich plagte u. ich nicht gehen konnte, wollte er, ich solle nach Franzensbad gehen. Ich wünschte das auch, erklärte aber, nicht ohne ihn u. so gab er nach u. wir kamen hierher. Vor Karlsbad das ihm d. Glasgow’er Arzt vorgeschlagen, hatte er Furcht und blieb hier, wo d. Arzt ihn, für sein lumbago, behandelt, von dem allein, mein Mann ihm gesprochen hat. Offen gestanden, der Arzt ist kein Licht, scheint aber d. Massiren gut zu verstehen. Die || Ruhe hier, Luft-Veränderung u. die Moorbäder haben ihm aber sehr gut gethan. Er schläft viel, hat sehr guten Appetit u. sieht, meine ich, sehr wohl aus. Nur fürchte ich, wenn er nach Hause kommt u. sich dort eben so wenig Ruhe gönnt, wie bisher, wird er sehr bald in demselben Zustand sein, wie seit Ende Mai. Seit sein Bruder gestorben, ist, außer Ihnen, Niemand, auf den mein Mann hören würde. Ich habe gar keinen Einfluß u. sein Bruder in Glasgow u. seine Kinder eben so wenig. Meine Bitte an Sie, lieber Herr Professor, geht nun dahin, ihn, wenn möglich, zu beeinflussen, sich mehr zu schonen, ruhiger zu leben u. sich an den Gedanken zu gewöhnen, mehr u. mehr von d. Geschäft sich zurück zu ziehen. Er wird natürlich || antworten, daß seine Mittel ihm das nicht erlaubten, aber ich weiß, es ist ganz genug da, wenn auch d. letzte Jahr ihm große Verluste gebracht haben. Wenn mein Mann sich nur entschließen könnte, dem Sohn mehr zu überlassen, der sehr gut befähigt ist, allerdings aber schon längst Muth u. Lust an dem Geschäft verloren hat, da d. Vater ihm nichts anvertraut u. nur Tadel u. Schroffheit für ihn hat. Wie mein Mann, in seinen Briefen, sich Ihnenb giebt, weiß ich ja nicht, – in seiner Familie würden Sie ihn kaum als denselben Menschen wiedererkennen, glaube ich.

Verzeihen Sie diesen langen Erguß, aber ich wünschte so sehr, daß Sie von Paul’s Gesundheits-Zustand || hörten, ehe sie ihn sprechen u. wenn Sie mir, später, einige Zeilen schreiben wollten, wie Sie meinen Mann gefunden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Mit herzlichem Gruß an Ihre Frau u. Sie

Ihre

Ida Rottenburg

a eingef.: sind; b eingef.: Ihnen

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
24.08.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 20062
ID
20062