Focke, Wilhelm Olbers

Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Bremen, 5. Januar 1890

Wall 206 Bremen 5 Jan. 1890.

Mein lieber alter Freund!

Für zwei in Leid und Freude teilnehmende Briefe habe ich Dir meinen herzliehen Dank zu sagen. Die letzten zwei Monate haben für mich und mein ganzes häusliches Leben eingreifende Veränderungen gebracht. Ich wohne bis jetzt in einem großen alten Familienhause, welches zwar nicht sehr bequem ist, aber für meine Kinder und meine Studien reichlich Raum bietet. Nach dem Ableben meiner Mutter mußte der Grundbesitz veräußert a werden und so muß ich denn im nächsten Sommer wieder in mein bescheidenes eigenes Haus zurückkehren, in welchem für meine Rubi u.s.w. kein Platz ist. Ebenso haben wir || auch den schönen Landsitz meiner Mutter aufgeben müssen, auf welchem meine Kinder alljährlich ihre Sommerfrische hatten. Noch im vorigen Herbste hatte ich das Beste von meinen Versuchspflanzen u.s.w. dahin gebracht, nachdem mir mein gemiethetes Stück Gartenland gekündigt war. So sind mir auch meine Befruchtungs-Versuche abgeschnitten.

Diesen Unannehmlichkeiten und der Influenza u.s.w. steht andererseits die Freude über den glücklichen Brautstand meiner Aeltesten gegenüber. Gestern hat das junge Paar sich auch ein Haus gekauft, nur etwa 5 Minuten von meiner künftigen Wohnung entfernt. – Mein einziger Sohn, der hier zwischen den Schwestern im Hause und den kaufmännischen Freunden zu viel Zerstreuung hatte, besucht jetzt das Gymnasium in Oldenburg. Sechs Töchter, || nämlich zwei erwachsene Mädchen, zwei große und zwei kleine Schulkinder behalte ich dann nach dem Fortzuge der Aeltesten noch bei mir.

Für Deine Mitteilungen über Deine Familie und Deine Ballgeberwürde sage ich Dir meinen besonderen Dank. Nachdem ich die Deinigen vor anderthalb Jahren gesehen, wird es mir leichter, ihrem Entwickelungsgange zu folgen. Kommst Du nicht im nächsten Herbste zur Naturforscherversammlung hierher? Wir richten uns dann mit Strube, Dreier, Romberg, Allmers, Fitger u.s.w. eine gemüthliche Privatkneipe ein, in die von Fremden eingeführt werden kann, wer dazu paßt.

Du hast mir neulich freundlichst Deine neue Auflage Deiner Natürl. Schöpfungsgeschichte angeboten. Solltest Du noch ein Exemplar zur Verfügung haben, so würdest || Du mir eine besondere Freude damit machen. In der Sturmunddrangperiode des Darwinismus war es einst das führende Buch und jetzt scheint es immer noch mit Vorliebe von Gymnasialprimanern, Studenten in den ersten Semestern und andern Leuten gelesen zu werden, die die Entdeckung gemacht haben, daß es noch allerlei andereb Dinge in der Welt giebt, c als die, welche ihre Lehrer und Pastoren ihnen mitzuteilen für gut befunden haben. Wie Du es angefangen hast, das ehemalige Kampfbuch dem jetzigen Standpunkte der Wissenschaft anzupassen, wird mich interessieren zu sehen.

Deine freundlichen Glückwünsche zum Jahreswechsel (unser großer Schriftsteller A. Lammers nennt das neue Jahrd in den Einleitungsworten seines heutigen Leitartikels das letzte des letzten Jahrzehnts) erwiedere ich aufs herzlichste. Mit der Bitte um freundliche Empfehlung an Deine Gattin und Kinder verbleibe

in alter Freundschaft

Dein W. O. Focke.

Influenza hat mich gehindert, Kükenthal bei seinem neulichen Besuche in Bremen zu sehen.e

a gestr.: ha; b eingef. mit Einfügungszeichen: andere; c gestr.: welche; d eingef. mit Einfügungszeichen: neue Jahr; e Text weiter am linken Rand von S. 4: Influenza … sehen.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
05.01.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1862
ID
1862