Alfred Gold (Die Zeit - Wiener Wochenschrift) an Ernst Haeckel, Wien, 22. Juni 1901
„DIE ZEIT”
Wiener Wochenschrift
Redaction
WIEN, DEN 22/6. 1901
Hochgeehrter Herr Professor!
Wir haben uns erlaubt, Ihnen das letzte Heft der „Zeit” zuzusenden und wollen damit gewiss Ihre Aufmerksamkeit auf den Artikel „Kosmos u. Kirchenglaube” von Carl Jentsch lenken, der ‒ wenn wir nicht irren ‒ Ihr Interesse in höchstem Maße finden muss. Der Verfasser wirft die Frage aus, ob die moderne Naturwissenschaft, beziehungsweise die neuzeitliche Astronomie, und der Kirchenglaube einander wirklich feindlich gegenüberstehen, ja überhaupt || in einen Zusammenhang gebracht werden können. Er verneint diese Frage, ohne damit aber freilich einer kirchlichen Tendenz auch nur im entferntesten Sinne zuzuneigen.
Wir irren wohl nicht mit der Annahme, daß dieser Gegenstand und die Art seiner vorliegenden Behandlung zu einem wissenschaftlichen Meinungsaustausch geradezu herausfordern, und erlauben uns, diese Anregung in allererster Linie Ihnen, hochverehrter Herr Professor, vorzulegen.
Wenn Sie das große Entgegenkommen erweisen wollten, Ihre in der „Zeit” schon so langersehnte Mitarbeit, die zu erreichen uns bisher nicht vergönnt war, in der Form einer Zuschrift über die oben || erwähnten Ausführungen uns zuzusenden, so würden wir das mit größter Genugthuung u. allerherzlichstem Dank begrüßen.
Ihrem frdl. Bescheid sehen wir mit Spannung entgegen
Hochachtungsvoll ergeben
Alfred Gold
REDACTION „DIE ZEIT”
Herrn Prof. Dr. Ernst Haeckel Jena