Verworn, Max

Max Verworn an Ernst Haeckel, Napoli, Statione Zoologica, 12. Juli 1890

Napoli 12.VII.90.

Statione Zoologica.

Sehr geehrter Herr Professor!

Nachdem man mich in Genua als choleraverdächtig in Quarantäne hatte setzen wollen, bin ich jetzt nach einer herrlichen 2tägigen Seefahrt seit 8 Tagen in Neapel. Meine Erwartungen waren nach allem, was ich gehört hatte, schon sehr hoch, aber sie sind durch die Wirklichkeit doch noch übertroffen worden. Neapel ist in jeder Beziehung (mit alleiniger Ausnahme des Schmutzes) für mich der Punkt der ganzen Reise. Das Leben hier bildet zu dem in Villafranca einen diametralen Gegensatz. In Villafranca ganz primitive Mittel, Dorfleben, völliger Mangel || an Verkehr, keine Spur von Comfort, hier prachtvolles Institut, großstädtisches Leben, fast zu viel Verkehr, jeder erdenkliche Comfort. Dazu kommt, dass es bei meiner Abreise in Villafranca viel wärmer war als es hier ist. Die Hitze ist hier wegen des stets wehenden angenehmen Windes sehr erträglich.

Die Station ist ein ganz grossartiges Institut, das fast luxuriös eingerichtet ist und wie ich glaube leicht dazu verführen kann, sich einem dolce farniente hinzugeben. Die schönen, grossen, kühlen Räume, die luftige Veranda mit ihrer entzückenden Aussicht auf Capri und Sorrent laden einen förmlich dazu ein. Fehlen blos noch Polsterstühle und Chaiselongues. Ausser mir sind noch etwa 10–12 junge Zoologen aller Nationen hier, die ein buntes, internationales Sprach- || gewimmel bilden, in dem ich mich manchmal mit meinem bischen Französisch und noch weniger Italienisch ganz unheimlich fühle. Dohrn ist nicht hier, die Verwaltung der Station besorgt augenblicklich allein Paul Meyer.

Material zum Arbeiten habe ich hier genug; in Villafranca hatte ich seit ca 4 Wochen schon keine Ctenophoren mehr, hier bekomme ich täglich frische. Ich habe daher sofort meine in Villafranca abgebrochenen Untersuchungen über die Function des Otolithenbläschens wieder aufgenommen und bin durch Beobachtungen und Versuche, die mir die grossen Bassins hier gestatten bereits in der Lage, die Engelmannsche Vermutung von der Aequiliberfunction bestätigen zu können. Die unter mangelhaften Einrichtungen in Villafranca ausgeführten Versuche boten anfangs gar keine Anhaltspunkte für || diese Ansicht und es bedarf in der That ausser der Ausführung der Versuche in grossen Bassins, einer sehr langen sorgfältigen, vergleichenden Beobachtung der operierten und der unverletzten Thiere, um die sehr wenig markanten Erscheinungen zu entdecken. Hat man sie erst einmal gefunden so springen sie einem später stets ganz deutlich in die Augen. Doch knüpfen sich an die Beantwortung der Hauptfrage noch eine grosse Menge von Einzelnen Problemen, die noch genug Arbeit verlangen.

Nun habe ich Sie aber genug vona mir unterhalten. Indem ich Sie bitte, mich Ihrer verehrten Familie, sowie der Forst- und Schweizerhöhen-Gesellschaft bestens empfehlen zu wollen, bleibe ich mit herzlichem Gruss

Ihr treuer

Max Verworn.

a korr. aus: mit

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.07.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17380
ID
17380