Weiß, Ernst

Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Halle (Saale), 16. Februar 1855

Halle d. 16. Febr. 55 früh ½8.

Mein lieber alter Häckel!

Herzliche Sehnsucht nach Dir gutem lieben Jungen, altem Stubengesell hat mich schon die ganzen letzten Tage, – eigentlich immer, aber da am meisten, gequält. Dennoch bin ich nicht dazu gekommen, diese auf das Papier zu tragen, um mich mit Dir zu unterhalten. Auch jetzt bin ich zu großer Eile u. Kürze gezwungen, so daß Du wohl etwas neidisch u. zürnend die dicke Einlage in den Händen wiegen wirst. Du sollst auch Recht haben: er ist’s gar nicht werth, daß ich an ihn mitunter denke, auch nicht, daß ich seine Wünsche, die er mir hier aufpackt, erfülle; ja Du sollst noch in Vielem mehr Recht haben; – ich werde Dir doch an Deinem Geburtstage nicht widersprechen! Aber ein bissel lieb wird er Dir trotzdem doch bleiben, nicht? – Es war mir oft in diesen Tagen, wenn ich allein zu Hause saß, als sollte sich die Thüre aufthun und Deine werthe Person in natura herein u. auf mich zu stolpern; ja oft hörte ich Dich schon kommen || u. sah nach der Thüre: aber die mitleidslose Wirklichkeit riß mich stets nur zu bald u. grausam aus diesen schönen Träumen. Heute habe ich die ganze Nacht von Dir geträumt u. thue es wohl immer noch, trotzdem ich die Augen offen habe. Diesmal aber führte mich der Traum selbst zu Dir hin. Nur so kommt doch ein sichtbares Zeichen von mir heute noch in Deine Hände. Die Gedanken kann man leider nicht sehen, sonst würdest du wie von einem Gespenste Dich verfolgt wähnen. Und das sichtbare Zeichen bringt Dir mancherlei Unsichtbares, vor Allem mich selbst, d.h. soweit ich unsichtbar bin, und aus diesem folgt alles Übrige. Den herzlichsten Glückwunsch meinem alten Freunde u. die überzeugendsten Versicherungen meiner treuen freundschaftlichen Liebe zugleich, überzeugend besonders deshalb, weil sie zum Geburtstage kommen u. ohne sonstigen Grund der Glaubwürdigkeit nur auf das Herz des Geburtstägers sich gründen. – Dennoch wünschte ich, ich könnte auch mit meinem sichtbaren Ich heute bei Dir sein u. ein oder zwei Stündchen mit Dir zusammen tifteln, die sich in der Geburtstagsfeier doch wohl finden würden. || Es gäbe da so Mancherlei zu erzählen u. zu besprechen, wozu mir gerade jetzt die Zeit fehlt, und das auch schriftlich nicht so gut geht. Du würdest dich dann auch vielleicht über Manches, das mich betrifft, weniger wundern, als Du es vielleicht gethan hast, wie Du davon lasest; so z. B. über meine Wünsche, die ich noch immer a (wie eigensinnig!) gern zu Ostern erfüllt sähe u. deren Verhandlungen über diesen Gegenstand (Tübingen) möglicherweise von Neuem ins Schwanken gerathen werden, wo sie doch schon fast geebnet schienen. Sodann könnte ich Dir dies u. jenes über sonstige Pläne erzählen, die freilich zum Theil in das große Gebiet der niemals zu erfüllenden Träume gehören, die aber dennoch auf Augenblicke b den Träumenden glücklich machen. Endlich ließe sich Manches von meiner Lebensweise erzählen, über die Du besonders etwas Näheres zu wissen wünschtest, soweit sie den nicht-gelehrten Kram betrifft, sondern die blos gesellschaftliche Seite des Hallischen Studentenlebens (ich sollte sagen des Studentenvegetirens). Es kommen da auch mancherlei Erfahrungen vor, die unerwartet genug sind u. in meinem Tagebuche noch nicht da gewesen. Theilweise || würdest Du herzlich lachen, zu hören, daß ich – Bälle besuche, und nicht das allein, sondern auch auf ihnen Contre tanze u. zwar blos in der Absicht, mich an der ungeheuren Confusion, die ich natürlich hervorrufe, da ich keine Idee von dieser edlen Kunst habe, zu amüsiren. Trotzdem langweile ich mich herzlich hier; trotzdem steht mir Halle bis oben hin. Trotzdem bin ich aber auf noch ein Semester Halle gefaßt. – Überhaupt, zu erzählen gäbe es schon Einiges, zu tifteln über Dinge, die Dir schon bekannt sind u. deshalb hier zum größten Theile Wiederholungen sein würden, noch mehr. Auch Sachen könnte ich Dir mittheilen, die ich vorläufig verschweigen muß, weil sie nicht mich betreffen u. ich nicht weiß, ob die Mittheilungc von anderer, der betreffenden, Seite gewünscht wirdd.

Jetzt indeß muß ich schließen; e ich habe bereits 1 Stunde am Laboratorium geschwänzt. Bitte, besorge den inliegenden Brief. Mit den herzlichsten Wünschen für Dich

Dein treuer alter Freund

E. Weiß.

[Zusatz Wilhelm Hetzer]

Zum heutigen Geburtstage die herzlichsten Glückwünsche von deinem [!]

W. Hetzer

Gegeben im chemischen Laboratorium der Universität Halle a/S. am 16. Februar 1855.

a gestr.: gern; b gestr.: ganz; c gestr.: sie; eingef.: die Mittheilungen; d korr. aus: würden; e gestr.: es

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.02.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 16640
ID
16640