August Weismann an Ernst Haeckel, Freiburg, 22. Dezember 1875
Freiburg i. Br. | 22 Dec. 1875
Lieber Freund u. College!
Ich muß die Ferien benutzen, um Ihnen zu sagen, was ich gern schon vor einiger Zeit gethan hätte, wie sehr nämlich mich Ihre Gastrula Theorie in ihrer jetzigen Gestalt mich erfreut hat. Wir haben damit jedenfalls einen bedeutenden Schritt vorwärts gethan u. ich bin jetzt völlig überzeugt – eine Ansicht, der ich übrigens auch früher schon zuneigte – daß alle Formen in einer Wurzel zusammenlaufen. Ich sehe zwar auch jetzt noch nicht, wie u. auf welche || Weise viele Tracheaten sich in das Schema der superficialen Furchung einreihen lassen, daß aber die Keimhautbildung der Insekten nicht etwas ganz Unvermitteltes ist, sondern aus den Furchungsweisen, wie wir sie bei andern Arthropoden finden, entstanden sein mußa, ist mir klar u. zweifellos. Das Wie wird sich dann schon herausstellen, wenn man speciell darauf losgeht u. ich hätte nicht übel Lust, es einmal zu versuchen. Für jetzt stecke ich noch tief in andern Dingen drin, mit denen ich demnächst einmal anfangen will, herauszurücken.
Meinen Axolotl-Aufsatz werden Sie erhalten haben. Könnten Sie es veranlassen, daß darüber ein Paar Worte in der Jenaer Litt. Zeitung || gesagt werden, so wäre mir es lieb. Es ist zwar nur ein kurzer Aufsatz, aber auf die Länge kommt es ja nicht an u. bisher war doch dieser Axolotl ein rechter Stein des Anstoßes für die Theorie der allmäl. Umwandlung.
Sehr erfreut hat mich auch Hertwig’s Schrift über das Echinus-Ei. Damit kommt auf ein Mal Sinn u. Verstand in die bisher etwas räthselvollen Beobachtungen von Bütschli u. Auerbach. Wir dürfen nun hoffen in der Erkenntniß des Wesens der sexuellen Fortpflanzung rascher vorwärts zu dringen, als man bisher annehmen konnte.
Mit herzlichem Gruß
Ihr
Aufrichtig ergebner
August Weismann
a korr. aus: mußten