Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 21. November bis 7. Dezember 1853

Halle den 21/11 53

Mein lieber kuter ! Ernst!

Zuerst muß ich Einspruch einlegen gegen Deine Auffassung der Gründe, welche mein so langes Stillschweigen veranlaßt haben sollen. 1) glaube, denke und wünsche ich, daß in unsern Briefwechsel nicht ein derartiges Verhältniß stattfinde, daß es dem einen nur erlaubt ist zu schreiben, wenn sein voriger Brief beantwortet worden ist sondern ich meine, daß 1 jeder schreibe, wenn er Stoff, Zeit, Lust && hat, u. sei es 2 mal die Woche; werden dagegen die letzteren Bedingungen alle oder zum Theil=0, so darf es ihm nicht verübelt werden, wenn er 1 Zeit lang still ist. 2) sprichst Du von lange „unterbrochenem Briefwechsel“. Briefe sind lange nicht gewechselt das ist wahr. Aber ich habe doch nicht, die diplomatischen Beziehungen zu Dir „abgebrochen“. 3) schreibst Du von hartköpfigem Ich u. Selbstüberwindung, als wenn ich aus Groll u. Grundsatz geschweigen hätte u. nun gleichsam der Meinung gewesen sei meiner Ehre Abbruch zu thun, wenn ich zuerst den Mund aufthäte. Genau betrachtet war es nur überwiegend Faulheit die sich scheute ernstlich ans Werk zu gehen. – Wenn Du vielleicht (wie Du schließen kannst, ist Dein lange u. sehnlich erwarteter Brief nebst Zeichnungen angekommen, letztere werde ich so bald und soviel als möglich benutzen u. mit Zinsen Dir zurücksenden) (freilich kein Compliment) zu Zeiten an periodischen Unwohlsein vulgo Verrücktheit leiden solltest wie manche andern Leute, so will ich Dir hier 1 gutes Beispiel zur Lehre Warnung u. Erbauung erzählen. Es a hat sich seit einigen Jahren bei mir, wahrscheinlich in folge des mystischen Strebens nach Oben der Laufsinn bedeutend ausgebildet. Eine Folge davon ist, daß ich oft auf meinen Spaziergängen u. Wanderschaften Wettlaufen mit mir selber halte. So b überkam mich neulich in Folge des vielen Sitzens ein gewaltiges Sehnen nach einem ordentlichen Lauf. Um 2 Uhr verließ ich meine Kneipe und ging auf die Merseburger Chaussee, bummelte bis zum 1ten Chausseehause, es wurde dunkel, bummelte bis zum 2ten, es wurde noch dunkler u. kam endlich nach Ammendorf. Lange vorher hatte ich es in Halle 5 schlagen hören. Dort überkam mich plötzlich der Gedanke schnell nach Halle zurück zu laufen u. Hetzern der im Colleg war zu melden daß ich da sei u. cwo ich d in so kurzer Zeit gewesen. 20 Minuten nach 6 war ich auf der Bude wo aber das betreffende Colleg ausgefallen war. ich stürmte deshalb in möglichst großen Schritten nach Hause, wo ich ihn ebenfalls nicht traf. In meiner Stube dagegen war eine Hitze von 45° u. das Wasser in der Kochflasche, die beständig auf dem Ofen steht zu beliebigem Kaffeebrauen, kochte entsetzlich. Dies wollte ich doch nicht unbenutzt lassen, der Spiritus ist jetzt enorm theuer, u. machte daher den Kaffee zurecht. Als ich jedoch die mit 1 Tuch umwickelte Flasche wieder auf den Ofen stellen will um das Bassin auszuziehen riß ich (wie geschickt!) die Flasche um u. das siedende Wasser mir über die linke Hand. Die Haut lag sofort wie geplättet in Falten. Ich bestrich nachdem ich einige Minuten in der Stube herumgetanzt ware alles mit AgO NO5 || u. am andern Morgen hatte ich den entsetzlichen Anblick auf jedem Finger eine schwarze Blase von dieser Größe [Zeichnung des Fingers mit Brandblase] zu sehen. f Und was habe ich davon? Dies, daß ich 1 Morgen u. vielleicht noch mehrere nicht im Laboratorio arbeiten u. meine langwierige Prüfung auf PO5 nicht fertig machen kann. Aus dem Letztern ersiehst Du, daß ich ebenfalls im Laboratorium arbeite, eigentlich von 8–12. Aber da Knoblauch der neue Physicus aus Merseburg täglich von 8–9 liest, so geht mir diese Stunde ab. Mit den in HO löslichen Substanzen bin ich fertig u. habe nun die in Säuren löslichen Substanzen vor. Eine der letzteren Analysen ergab HgO, CuO, BiO3, Cl u. SO3. Als Leitfaden habe ich ein kleines Büchelchen von Heintz. Der allgemeine Gang ist natürlich derselbe wie im Fresenius,: Fällung + SH, mit NH4 g, NH3 CO2. Es geht dabei sehr laut her wir sind ihrer 6 in dem einen Zimmer: 3 Bergleute u. 3 Mathematiker; Hetzer mit 2 Medicinern u. 1 Lehrer ist einer andern Stube. Der eine pfeift, der andere singt, der dritte flucht, daß er die Geschichte noch mal machen muß, der 4te liegt auf einer Holzbank und wartet daß seine h H Gasdurchleitung bald fertig werde, u. der 5te kuckt den schönen Mädchen zu, die den Brunnen sehr frequentiren, u. der 6te wäscht auf. Dann kömmt mitunter der Bär reingebrummt. Kurz aus ist ein heiteres Leben, namentlich werden sehr schöne Lieder gesungen. &&. Wenn es dann Mittag ist, so ist Feierabend mit den Collegien ich habe dies mal wenig angenommen um erst einmal das etwas zu verdauen, was ich bis jetzt gehört habe. Ein Colleg was gerade in den Winter fällt, habe ich noch angenommen, zumal da es nur 3stündig ist: die Geschichte der christlichen Kunst bei Ulrici. Es wird dabei das Kupferstichkabinet der hiesigen Bude benutzt. Wir haben bis jetzt den Basilikenstyl und byzantinischen Styl nebst Sculptur u. Malerei dieser Periode durchgenommen und fangen jetzt den romanischen an auf welchen der gothische folgen wird. Es ist mir das ein sehr interessantes Colleg. Da wir einmal von Kunstsachen reden, wie gefallen Dir denn die Statuen der Schloßbrücke in Berlin? Nach den 2 Abbildungen die ich in der illustrirten Zeitung gesehen habe, scheint es im Allgemeinen weniger zu sein als sich erwarten ließe. Ich habe hier auf der Universitätsbibliothek nur Gypsabdrücke von Antiken (Apoll, Diana, betende Knabe &&) gesehen, aber ich glaube doch daß in der Plastik die Griechen bis dato noch unübertroffen sind, namentlich hat mir der betende Knabe, den Du vielleicht von Berlin (wo das Original ist) her kennst, ausnehmend gefallen. Die ausgeprägte Muskulatur, die edlen Linien u. Formen, die Einfachheit in Stellung u. Ausdruck, lassen mich dieses Stück noch höher stellen als den berühmten Apoll von Belvedere, der mir zu glatt gehobelt ist, u. bei welchem auf den ersten Blick wohl nur seine Größe den deshalb Erhabenen Eindruck macht. – Von Naumann der in den letzten Jahren || das Merseburger Schloß von dem Wehre aus als Herbst und Winterlandschaft, wovon das erstere der Präsident Witzleben ankaufte, hat jetzt der König das Letztere ankaufen lassen. Naumann hat sich gegen die Zeit wo ich noch Stunde bei ihm hatte, bedeutend verbessert. So hatte er den Blick von der Funkenburg über den Teich nach Köthen, offenbar ein sehr dürftiger Gegenstand, zu einem famosen Bild verwandt. Diesen Sommer er sich mit nichts als Photographiren beschäftigt, womit er glänzende Geschäfte macht u. Zulauf von weit u. breit hat. Nächsten Sommer will er nach Tyrol gehen. Als ich neulich ein mal beim kleinen Weiß war u. über verschiedene Sachen geschwatzt wurde, u. natürlich auch Harz Thüringen Schlesien eine Rolle spielte u. 1 Plan gemacht wurde zu 1 Reise nach der Babia Gora, resp. Krakau Lemberg Constantinopel &&. vereinbarten wir beide in dem Wunsche, i was für eine schöne u. gemüthliche Sache das sein müßte, wenn wir 3 oder 4 einmal eine Reise zusammenmachen könnten so meinetwegen nach Schlesien u. dergleichen. Der kleine Weiß der nächstens auch nach China u. Californien reisen wird, schwafelt schon wieder davon, wie hübsch es in der Schweiz sein muß u. ich gebe keinen d. [Pfennig] drum er besteigt nächsten Sommer den Montblanc.

Wenn ich Deinen Stundenplan betrachte, so weiß ich wirklich nicht ob ichs mit einem Studenten oder 1 Menschen der in 8 Tagen 1 gelehrter Mann werden will zu thun habe. Warum gehst Du denn nicht lieber ins Wettener Bergwerk als Hundejunge, wo Du doch wenigstens Deinen Sonntag hast u. noch Lohn erhältst. Da stehen doch einem vernünftigen Menschen die Haare zu Berge wie dem Stachelschwein die Borsten. Solche Streiche macht wohl ein Theologen Fuchs der 10 Colleg ins Anmeldebuch schreibt was nur 9 Rubriken dazu hat; aber kein altes Haus im 4ten Semester. Von solchen Füchsen, um bei der Stange zu bleiben, haben wir jetzt Kerls hier, die wahrlich nicht so groß wie meine Wasserstiefel sind. Sonst im Allgemeinen blüht unsere Facultät wie vielleicht, es läuft eine Masse solcher Mathese darum, daß man in jeder Straße einem begegnet. Hierbei will ich Dir ein paar Äußerungen erzählen, die wenn sie nicht lächerlich wären u. ihrem eignen Urheber ins Gesicht schlügen, einen vernünftigen Mann unmenschlich ärgern könnten. Du weißt, es giebt in Halle viel gelehrte Leute, Professoren und dergleichen. Von diesen gelehrten Herren hat nun neulich einer (1 Theolog natürlich) im Colleg öffentlich vor seinen Zuhörern über diejenigen gesprochen, „welche sich zu dem Handwerk der Naturforscher bekennen“, ein anderer hat gesagt „hüten Sie sich überhaupt die Mathematiker zu den Philologen (er ist natürlich selbst Philologe) zu rechnen; denn diese gehören nicht j auf unsere Schulen. Bei dem erstern bin ich vollkommen mi ihm einverstanden. –

Der Weiß schreibt; wenn Du von Trapa; Du schreibst, wenn Du von Trapa; … ja Trapa ist eine sehr schöne Sache, wenn man sie auf dem Wasser schwimmen sieht, aber holen das ist die Lösung. Ich bin bis an die Hüften in den Teich gebadet u. konnte sogar da noch nur mittelst meines Stockes 1 Exemplar denn das Zeug sitzt zwar fest, giebt aber zum Ziehen keinen Anheftepunkt; herauskriegen. ||

Was ich auf dieser Excursion, der 1ten u. letzten in den großen Ferien gefunden habe, liegt noch zu Hause u. war größtentheils, während der Zeit meiner Harzreise verschimmelt. Indeß wenn ichs erst mal hergeschleppt habe kannst Du bekommen was Dir gefällt. Die Trapa hatte sich übrigens bedeutend vermehrt gegen das vorige Jahr auch Spiranthes schien nie zahlreicher vertreten zu sein. – Im Harz habe ich, schaurig aber wahr zuerst wenig botanisirt, was gerade am Wege stand, habe ich ohne was zu bestimmen, mitgenommen, es liegt alles noch bei Weiß deshalb kann ich Dir auch nicht sagen was ich eigentlich gefunden habe, − viel ist’s nicht. Es ist überhaupt ich kanns nicht leugnen, in meinen Ansichten über Botanik eine erhebliche Änderung eingetreten: Wofür ich mich vor 2 Jahren noch aufgeopfert u. was ich, ohne mich zu besinnen zu meinem Lebensstudium erwählt hätte, wenn anders es gegangen wäre, das kömmt einem jetzt bei nüchterner Betrachtung zum wenigsten zu minutiös u. unnütz vor. Namentlich haben Anfragen Burmeisters: „mi solchem Zeug beschäftigt man sich nun sein Leben lang u. quält sich ab &&. Den ersten Anstoß gegeben, über die Sache ordentlich nachzudenken und mir darin klar zu werden. Derlei Zweifel sind in mir allerdings schon früher aufgestiegen, aber die Liebe zur Sache vernichteten sie sofort.

Das Fach, dem ich mit Liebe obliegen soll, muß auf das practische Leben einwirken u. in dasselbe eingreifen. Wenn dies auch auf den Lehrer nicht zu passen scheint, so ziehe ich doch wenigstens andere für das practische Leben an u. kann mich diesem nähern soviel ich will. Lieber wäre mirs allerdings, ich könnte mich tüchtig auf Chemie werfen; u. ich habe mich schon 100000 mal geärgert daß ich mich nicht schon auf der Schule wie Weiß u. Hetzer mit Chemie abgegeben habe. Ich habe leider nur zu oft Gelegenheit zu bemerken daß ich noch erschrecklich dumm bin. −

Was ich sonst noch treibe? Von 8 bis 1 Uhr bin ich nicht zu Hause, dann habe ich jetzt ein mathematisches Heft vor, was eigentlich im vorigen Winter ausgeoxtwerden sollen, wo mir aber Sohnke’s Tod dazwischen kam. Außerdem werfe ich einmal einen Blick hierhin u. dorthin. Doch scheinen im Allgemeinen Mathematik, Chemie, Physik diejenigen Fächer zu sein, für welche ich eine entschiedene Neigung habe. Mineralogie habe ich noch nicht gehört, sie auch vielleicht in den nächsten Semestern noch nicht gelesen, da Germar’s Stelle noch unbesetzt ist. Alles kann man nun 1 mal nicht umfassen, man hat an einem zur Genüge. –

Ich habe nun noch ein wahrscheinlich lang werdendes Capitel einer Moral anzuschließen. Fast in jedem Deiner Briefe findet sich ein mehr oder weniger großer u. intensiver Katzenjammer, Weltschmerz, u. eine Unzufriedenheit, die mir gar nicht gefällt. Daß Du vorigen Winter mit Deinem Beruf zerfallen warst, war wenn man will, in der Ordnung, aber nun nach Jahresfrist immer noch derselbe Stand der Dinge, das ist eine traurige Aussicht. Wenn Du denn einmal glaubst Dir die Fähigkeiten u. Anlagen zum practischen Arzt absprechen zu müssen, warum dann noch dabei bleiben? So laß lieber diese rein practischen oder meinetwegen mechanischen Fächer die Nebensache sein u. wirf Dich dann ganz auf Deine LieblingsStunden sei es Botanik, Zoologie && und werde so’n Kerl wie Burmeister, Schlechtendal usw. die ja doch auch Medicin studirt haben. Doch diese Art von innerer Zerrissenheit will ich Dir gern verzeihen.

[Randnotiz S. 4]

7/12 53

Es scheint als wenn ich gar keinen Brief mehr fertig bekommen sollte. Dieser liegt schon seit mehreren Tagen ohne daß ich ihn angesehen hätte, und wenn man ihn nur erst liegen läßt. Da ich nun nächsten Sonnabend nach Merseburg will, gedenke ich ihn nebst dem Hetzers aufzunehmen und mit Weiß abzusenden. Anbei werden einige Zeichnungen, die ich glücklicherweise in ein paar Stunden vollendet habe, was ich für einen Fortschritt halte, da ich früher Tage dazu brauchte. Da ich vor Weihnachten doch keinen Brief wieder absenden werde, mußt Du das Inliegende zugleich für eink sehr kleines Weihnachtsgeschenk [weiter auf Rand S. 3] nehmen. Hätte ich eher die Entdeckung gemacht daß man auf diesem Zeichenpapier die rechte Seite nehmen muß und hätte ich eher gute rauhe Bleistifte bekommen (in Halle habe ich keinen Faber Nr 2 von der Güte der Näglerschen auftreiben können) so wären wenigstens einige Herzenssachen fertig u. es könnte daher das Paket stärker werden. – Im Übrigen glaube ich, daß es nicht uneben sein würde, wenn Du Deine Briefe [weiter auf Rand S. 2] gleich an mich schicktest und nicht an Weiß. Da sie doch einmal Halle passiren um nach Merseburg zu kommen. Demgemäß wünsche ich Dir recht heitere Feiertage, Gesundheit Glück zum Neuenjahr u. was dergleichen mehr ist u. laß bald wieder etwas von Dir hören Deinem getreuen Freund der sich stets über einen Brief freut und sich

V. Weber nennt. Halle den 7/12 53 Abends 11 Uhr.

a gestr.: seit; b gestr.: hat; c gestr.: z; d gestr.: so lange; e eingef.: nachdem ich … herumgetanzt war; f gestr.: Das hat; g gestr.: Sl; h gestr.: ch; i gestr.: wenn; j gestr.: zu den Philologen; k gestr.: er

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.12.1853
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16239
ID
16239