Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 18. Oktober 1854

Halle den 18/10 54

Mein bester Ernst!

Nicht um einen langen Brief zu schreiben, setze ich mich jetzt hin, sondern nur um eine sich darbietende Gelegenheit zu benutzen aus der schließlich nichts geworden ista, Dir ein Zeichen davon zu geben, daß ich nach verlebten u. zum Theil überstandenen Ferien glücklich wieder allhier angelangt bin, um natürlich mit himmelerstürmenden Plänen, aus denen nur leider in der Regel nichts wird, hier weiter zu leben u. – Hut ab – das sechste Semester zu durchwandern, -schleichen, -stürmen! Meinen letzten Brief wirst Du hoffentlich erhalten haben. Es hat sich in der seitdem verflossenen Zeit leider nichts Bemerkenswerthes begeben. Ruhig wie ein Bach im Marschland sind ihre Tage verflossen, oft zu träg. Von Reisen habe ich während selbiger Zeit keine unternommen, falls man nicht eine Spritze zur Leipziger Messe u. die Kreuzbergersche b Menagerie, u. verschiedene Bierkneipen, deren es in Leipzig nicht wenige giebt, dahin rechnen sollte. Hierbei hatte ich beiläufig das nicht seltene Glück von Leipzig bis nach Hause im schönsten Landregen, eine Mappe mit Zeichnenpapieren auf dem Rücken, wandern zu müssen, dermaaßen, daß selbst die Stiefelschäfte jegliche gesetzmäßige Form verloren hatten. Es tröstet mich nur der Gedanke und die Hoffnung, daß zur Entschädigung für die heurige Entbehrung vielleichtc das nächste Jahrd das bekannte Kleeblatt in freundschaftlichster Eintracht, nach irgend welchem Reiseziele wallfahrten sieht. – Was meine wissenschaftlichen Zustände, das meine geistige Leben oder Vegetiren anlangt, so scheint da eine abermalige || jedoch dem Anschein nach nicht so schwer zu beseitigende Katastrophe vorzubereiten. Die Botanik werde ich, wenn auch nicht geradezu an den Nagel hängen so doch wenigstens nicht den Hauptvordergrund einnehmen lassen. Botanisiren werde ich nur gelegentlich um die Flora vollständig kennen zu lernen, und die Physiologie werde ich e treiben, soweit sie mir interessant u. sovielf zur Erkennung der das Pflanzenleben bedingenden Vorgänge nothwendig ist. Zugleich will ich hierbei bemerken, daß in diesen Tagen ein kleines Wunder sich ereignen wird: statt den gewohnten althergebrachten 2 Wintercollegien will nehmlich Schlechtendal auch einmal Pflanzenphysiologie lesen. Ich werde sie wahrscheinlich annehmen. Das Fach nun, worauf ich mich ernstlicher zu legen gedenke ist die Physik. War es, wenn ich so sagen soll, der Mangel des Allgemein Menschlichen, das mich, nachdem einmal die Sache von einem unbetheiligten Standpunkte habe, gegen die Botanik und insbesondere gegen dieses Sammeln und Aufspeichern der todten Natur gleichgültig werden ließ, so ist es andrerseits ebeng die Vielseitigkeit der Physik, ihr Eingreifen in alle Schichten und Verhältnisse des Lebens, was mich zu ihr hinzieht. Doch so wenig ich jemals die Zeit bereuen werde, welche ich auf die Beschäftigung mit der Botanik gewendet habe, so wenig will ich mit zu denen gerechnet werden, welche den Werth einer Wissenschaft nur nach den materiellen Vortheilen und Genüssen welche sie derselben abringen können, kurzum nach den Procenten zu schätzen wissen. Wenn Etwas unser Vaterland in ein Utopien verwandeln kann, so ist es nach meiner Ansicht die Einführung der Naturwissenschaften in das Leben, denn nur diese können materiellen Wohlstand schaffen u. daher giebts Mittel und Wege um auch den geistigen mehr und mehr zu verbreiten und zugänglicher zu machen. ||

Nach diesen gelehrten Bemerkungen hätte ich nun noch Einiges über Collegien die ich hören werde zu schreiben, doch haben die mehresten Professoren noch nicht angeschlagen.

Wie hast Du denn die Ferien zugebracht? Warst Du auf Helgoland u. wie hat es Dir dort gefallen? Nach meiner Ansicht müßte es mit der Zeit etwas langweilig dort werden u. nur die Beschäftigung mit den dorthin passenden Naturwissenschaften mag sie wol etwas verkürzen können. Doch kann ich andrerseits mir es auch wieder sehr anmuthig denken, am Meeresstrande zu sitzen mit den Betrachtungen, wie Welle auf Welle kommt u. vergeht, und die Luft einzuathmen welche über die meilenweite reine Fläche getragen ist.

Nur erst zurückgekehrt von einem Spaziergange, den ich mit dem kleinen Weiß heute machte, habe ich nichts eiligeres zu thun als Dir das erfreuliche Ergebniß desselben mitzutheilen. Ich war nehmlich so glücklich an dem Trothaer Felsen das vielersehnte Eragrostis pilosa zuerst im gänzlich verblühten u. erstorbenen dann aber auch in wenn auch kümmerlich gründenden Exemplaren zu finden, von denen ich zur Bestätigung des Gesagten einige beilegen werde. Du kannst, wenn Du sonst mit Gercke Verkehr hast, es diesem zu wissen thun, da er ja wohl auch vergeblich danach gesucht hat. h Wir hatten es allerdings früher mehr nach Trotha hin zu i finden gehabt, wo es sich auf einer nicht allzugroßen Strecke gleich im Anfange der Felsen findet. Noch habe ich Dir eine frohe Mittheilung andrer Art zu machen, da ich hoffe, daß Du meine Freude darüber theilen wirst: Seit Pfingsten schwebte ich zwischen Furcht und Hoffnung, ob Sein oder Nichtsein, und wahrlich j sehnlicher kann nimmer der Fall Sebastobols von den Westmächten erwartet werden als von mir die Antwort von 1 gewissen Orte. Und sie ist gekommen u. bejahend, wodurch sie mich mit einem Stipendium von jährlich 40 rℓ || sage vierzig Thalern k beglückt, wovon ich jetzt als halbjährlichen Betrag die Hälfte haben kann. Es ist dies ein Neefe’sches Stipendium, was, eigentlich Familienstipendium, in Altenburg vergeben wird. Spät kommt ihr, − doch ihr kommt! So bin ich denn endlich zum ersten Male in den Stand gesetzt, trotz des, nach schwerem Examen, glücklich wieder ergatterten halben Freitisches, und trotz des Winters, der jedesmal 6 rℓ Feuerung kostet, ohne Sorgen der Zukunft entgegensehen zu können. Eine Königliche Regierung zu Merseburg, sowie auch Privatcollatoren haben mir auf wiederholte Gesuche nicht einmal Antwort zukommen lassen.

Zum Schluß habe ich nur noch zu bemerken, daß es wohl auch nicht allzu frühzeitig, wenn Du wiederum etwas von Dir hören ließest, da ein dergleichen Fest Ereigniß jedesmal in dem Sisteme [!] der übrigen Kleeblätter eine belebende, raschere Blutcirculation bewirkende Wirkung hat. Ich habe in den Ferien oft sehr oft an Dich gedacht u. gab mich schon der Hoffnung hin, Dich in den Jetzttagen hier treffen zu können, weil ich in dem falschen Wahne gelebt, daß Du schon dieses Semester nach Würzburg gehen würdest. Mit dem Wunsche, daß es Dir nach allen Seiten wohlergehe, daß Du glücklich u. nicht getäuscht in Deinen Erwartungen und Hoffnungen von Helgoland zurückgekehrt bist, schließe ich meine wenigen Zeilen. Lebe wohl u. erfreue bald mit einer langen Antwort

Deinen alten Freund

V. Weber

welcher noch wohnt Jägerplatz 1074

Hast Du vielleicht etwas von Gandtner gehört? Der Witz im Kaldderadatsch auf die Merseburger Schule wirst Du wohl auch gelesen. Gloel hat bei der letzten 8tätigen Revision Schaubs eine bedeutende Nase bekommen, Goram u. Thielemann dagegen sind sehr rausgestrichen worden.

Vorstehende Zeilen sind, beiläufig gesagt, mit meinem eignen Fabrikat (Berlinerblau in Oxalsäure aufgelöst) geschrieben.

a eingef.: aus der schließlich nichts geworden ist; b gestr.: Ack; c eingef.: vielleicht; d gestr.: e; e gestr.: so; f eingef.: soviel; g eingef.: ; h gestr.: Ich eh; i gestr.: zu; j gestr.: halte; k gestr.: jetzt

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.10.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16213
ID
16213